Existieren fiktive Gegenstände – für Sprachphilosophen?

Christiana Werner erklärt in mühevoller Kleinstarbeit „Wie man mit Worten Dinge erschafft“

Von Ksenia GorbunovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ksenia Gorbunova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Verlagsgruppe Vandenhoeck & Ruprecht veröffentlicht 2016 Christiana Werners sprachphilosophische Dissertation Wie man mit Worten Dinge erschafft. Die sprachliche Konstruktion fiktiver Gegenstände. Diese behandelt die Frage, ob und auf welche Weise Fiktion innerhalb der Sprechakttheorie zu verorten ist. Werner betont mehrmals, dass das Erzählen fiktionaler Geschichten ein fester Bestandteil vieler Kulturkreise ist. Genau zu charakterisieren, was ein Autor sprachlich tut, wenn er einen fiktionalen Text verfasst, vermag allerdings niemand: In sprachphilosophischen Untersuchungen wird Fiktion meist ausgeklammert, nur peripher angesprochen oder gar als „parasitärer Sprachgebrauch“ verschmäht. Werners Befinden nach ist das ein Desiderat, schließlich sei das Erzählen, beispielsweise von Märchen oder Mythen, ein wichtiges Element menschlicher Kommunikation.

Werner macht es sich zur Aufgabe, dieses Defizit zu beheben und unterbreitet den Vorschlag, fiktionale Rede als deklarative illokutionäre Sprechakte zu begreifen. Vereinfacht heißt das, dass der Autor, indem er einen fiktionalen Text schreibt, mit den darin enthaltenen Äußerungen Handlungen vollzieht. Diese Handlungen sind gemäß den Konventionen der Fiktion vom Leser auf eine bestimmte Art und Weise zu verstehen. Unter diese Konventionen fällt beispielsweise das Recht des Autors eines fiktionalen Textes, einen erfundenen Sachverhalt in der grammatischen Form einer Behauptung zu erzählen, ohne dabei des Lügens oder eines Irrtums bezichtigt zu werden. Deklarativ sei die sprachliche Handlung dieses Autors, weil er mit seinen sprachlichen Äußerungen fiktive Gegenstände bzw. Personen erschafft, welchen Werner den ontologischen Status von abstrakten Artefakten zuweist. Weil aber ein abstraktes Artefakt zum Beispiel nicht Pfeife rauchen kann, wie es nach Arthur Conan Doyle „Sherlock Holmes“ tun würde, oder über bestimmte physische Eigenschaften verfügen kann, führt Werner eine Unterscheidung ein, nach welcher zwischen „fiktiver Rolle“ und „fiktivem Träger“ differenziert werden muss, analog zu einem Amt, das ein abstraktes Artefakt ist und von einem empirischen Amtsträger bekleidet wird.

Das klingt erst einmal unnötig verkomplizierend, weshalb Werner ihrem Vorschlag den beachtlichen Versuch voranstellt, eine Orientierung innerhalb der sprachtheoretischen Ansätze zu geben, um daran verschiedene Positionen zur Fiktion zu erörtern und ihre eigene These und deren Komplexität zu rechtfertigen. Beachtlich ist dieses Unterfangen, weil endlose Binnenunterscheidungen, fehlender Konsens über Begriffsverwendungen und verschlungene

Argumentationsdebatten innerhalb der Sprechakttheorien deren Aufarbeitung zu mühevoller Kleinstarbeit machen. Ohne jemals den Überblick zu verlieren, führt Werner ihren Leser differenziert durch die verschiedenen Aspekte von Sprechakten, die für ihre Fragestellung von Relevanz sind, und das umschließt… so ziemlich alles. Werner entwirft ein holistisches, komplexes System, in dem die (unterstellte) Intention des Autors, der potenzielle, empirische Leser, das Buchexemplar des Textes, die Veröffentlichungsstrategie, die Erinnerung des Lesers an den Text, die soziale Praxis fiktionalen Erzählens und vieles mehr in die Bedeutung von fiktionalen Äußerungen mit hineinspielen. Die Begründung dieses Systems in den weit verästelten Diskussionen um illokutionäre Akte seit J.L. Austin und John Searle zwingt Werner zu zahlreichen Vor- und Rückverweisen in ihrer Argumentation und damit zu einem Balanceakt über dem Abgrund der Verwirrung.

Den Begriff „Fiktion“ behandelt Werner relativ wenig, im Gegensatz zu den Begriffen aus der Sprachtheorie. Sie begnügt sich damit, „Fiktion“ als eine erfundene Geschichte zu definieren, die ohne Täuschungsabsicht erzählt wird. Während es bei Lyrik überhaupt zur Debatte steht, ob man hierbei von Fiktion sprechen kann, hofft Werner, dass das, was sie anhand von narrativen Texten erarbeitet, auch auf Dramen übertragbar ist. Der Präzision von Werners Vorgehensweise in Bezug auf die Argumentationsfehden der Sprachtheoretiker ist es geschuldet, dass das zu behandelnde Gebiet aber auch innerhalb erzählender Prosa zunehmend eingegrenzt werden muss. So geht man zum Beispiel davon aus, dass der Vollzug eines Sprechaktes konstitutiv voraussetzt, dass u.a. der Sprecher die Absicht hatte, diesen Sprechakt zu vollziehen. Assoziatives Schreiben muss Werner deshalb aus ihrer Betrachtung ausschließen, obwohl diese in manchen Literaturrichtungen methodisch zur Schaffung fiktionaler Texte eingesetzt wurden. Ebenso müssten Werke ausgeschlossen werden, die etwa während der manischen Phase einer Geisteskrankheit verfasst wurden oder unter Drogenrausch entstanden sind. Ferner stellt Werner die Bedingung auf, dass für das Gelingen einer fiktionalen Sprachhandlung der Autor des fiktionalen Textes den Text mit Fiktionalitätssignalen versehen muss, anhand derer der Leser erkennen soll, dass der Text fiktional ist und die Sprachäußerung darin entsprechend zu verstehen sind. Fiktionalitätssignale können etwa die im Paratext erwähnte Literaturgattung, die Einordnung des Buches in die Sparte „Belletristik“ oder gattungsspezifische Phrasen wie „Es war einmal…“ sein. Historische Fälle von Pseudoübersetzungen, oftmals mit nicht eindeutig zugewiesener Autorschaft, oder Texte, die behaupten, sie würden „wahre Geschichten“ aufarbeiten und dabei dennoch als literarisch gelten, strapazieren allerdings die Bedingung der Fiktionalitätssignale.

Für eine eingehendere Problematisierung und Ausgestaltung ihrer These bleibt Werner keine Gelegenheit, weil sie notwendigerweise viel Platz der Klärung sprachphilosophischer Grundbegriffe einräumen muss. So gesehen muss Werner dort einen Schlussstrich ziehen, wo es am spannendsten wird, nämlich bei den Überlegungen zur Bezugnahme fiktionaler Äußerungen. Ausgehend von der Annahme, dass man sich mit sprachlichen Äußerungen nur auf existierende Objekte beziehen kann, fragt Werner danach, welcher ontologische Status Objekten, die innerhalb von fiktionalen Texten beschrieben werden, zuzuschreiben wäre. Existiert Sherlock Holmes wirklich? Ja, sagt, Werner. Allerdings nicht als Person, sondern als abstraktes Artefakt, wie eine Institution etwa. Ebenso wie Institutionen werden fiktive Figuren und Gegenstände durch eine Deklaration erschaffen, wobei Werner vorschlägt, anzunehmen, dass fiktive Figuren bzw. Gegenstände bei ihrer ersten Benennung beginnen zu existieren, und nicht wenn beispielsweise der Roman zu Ende gelesen ist und der Leser alle Informationen über die Figur bzw. den Gegenstand erhalten hat. Nun werden allerdings in Romanen fiktiven Figuren konkrete Eigenschaften und Tätigkeiten zugeschrieben, über die etwas Abstraktes keinesfalls verfügen kann. Diese Feststellung verleitet Werner dazu, eine weitere Entleihe aus der bürokratischen Welt vorzunehmen: Analog zum abstrakten Amt, das von einer konkreten Person eingenommen wird, sind auch fiktive Figuren und Gegenstände aufzufassen. Der Autor würde mit der fiktionalen sprachlichen Äußerung die Existenz von abstrakten Artefakten, einer „fiktionalen Rolle“, begründen, an welche er mit Beschreibungen bestimmte Eigenschaften und Tätigkeiten bindet. Diese sind nicht als Eigenschaften und Tätigkeiten des abstrakten Artefakts auszufassen, sondern eines potenziellen Trägers der „fiktionalen Rolle.“ Unwillkürlich kommt einem der Gedanke an Literaturverfilmungen – bis Werner anmerkt, dass bei Fiktion der „fiktionale Träger“ prinzipiell leer bleibt. Heißt das, dass dessen Konstruktion lediglich ein Trick war, um fiktionale Rede logisch ins Konzept der deklarativen illokutionären Akte einzwängen zu können?

Werner weist abschließend darauf hin, dass es viele Richtungen gäbe, ihren Forschungsansatz weiter zu verfolgen. Mit ihrer Dissertationsarbeit liefert sie dafür einen wichtigen und bemerkenswert fundierten Impuls und öffnet neue Räume für künftige spannende Auseinandersetzungen um die sprachtheoretische Zuordnung fiktionaler Texte.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Christiana Werner: Wie man mit Worten Dinge erschafft. Die sprachliche Konstruktion fiktiver Gegenstände.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2016.
238 Seiten, 34,99 EUR.
ISBN-13: 9783847103912

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