Eine antiquierte Aktualität

Annemarie Schimmels Würdigung des patriotischen Kosmopoliten Friedrich Rückert

Von Peter HöyngRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Höyng

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch Friedrich Rückert. Lebensbild und Einführung in sein Werk stammt von der namhaften Islamwissenschaftlerin Annemarie Simmel (1922–2000), die unter anderem 1995 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. Die vorliegende Rezension hingegen ist aus der Sicht eines Germanisten mit kulturwissenschaftlichem Interesse geschrieben. Die Schnittmenge dieser beider Interessen ist Friedrich Rückert, der unter Germanisten anhand einer begrenzten Anzahl von Gedichten nur ein geringes Interesse wachzurufen vermag, hingegen für die deutsche Forschung persischer und arabischer Literatur und Sprache als einer der Urväter gilt. Schimmels zweigeteiltes und kurzweiliges Buch, eine biografische Skizze einerseits, ein Überblick über Rückerts beeindruckende Arbeiten als polyglotter Philologe und Übersetzer andererseits, erschien erstmals 1987, vermutlich anlässlich von Rückerts 200. Geburtstag im Jahr 1988. Jetzt, knapp 30 Jahre später erscheint der Text in Neuauflage zeitgleich zu Rückerts 150. Todestag, herausgegeben von Rudolf Kreutner, ohne dass jedoch erkenntlich wird, inwiefern dieser den schmalen Band betreut hat.

Es wäre ein leichtes, diesen Band ob seiner (nicht nur methodologischen) Antiquiertheit zu überführen oder auch seiner stilistischen Schnitzer; genauso wie es nicht weiter schwer fällt, Ungenauigkeiten aufzudecken, wie etwa der, dass Rückert eine „äthiopische Grammatik“ verfolgt habe, womit eine Grammatik des klassischen Ge’ez ebenso gemeint sein könnte wie die der gebräuchlichen Nationalsprache Amharisch. Und auch die allzu rhapsodische und sprunghaft-beliebig wirkende Darstellung von Rückerts Werk ruft Unbehagen hervor. Doch trotz solch vielfach möglicher, aber letztlich allzu bequemer Kritik liest sich Schimmels einführender Band aus zwei Gründen mit Gewinn.

Erstens ist es für einen Germanisten äußerst lohnenswert, Rückert Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem man ihn endlich einmal nicht als bloßen Zulieferer von einer kleinen Auswahl seiner Gedichte für Gustav Mahlers Vertonungen kennenlernt, sondern ihn als komparatistischen Philologen von entweder wahrlich geniehaften Zügen entdecken kann oder aber als den Idealtypus des deutschen Professors im 19. Jahrhundert, dessen akademische Freiheit und Entbindung familiär-häuslicher Pflichten ihm größtmögliche Spielräume eröffnete. Seine weitreichenden Sprachstudien verdichtete er – wie so vieles in knappster Versform – wie folgt: „Griechische Bücher und deutsche, lateinische, slawische, welsche / Persische samt Sanskrit, Türkisch, Arabisches auch“. Er deutet damit nur an, dass er stets beides war: vergleichender Philologe als auch begabter Poet, dessen Übersetzungen aus dem Persischen und Arabischen Maßstäbe setzte. Schimmel betont dieses Doppelleben in ihrem Buch, beispielsweise wenn sie sein Leben als das eines „dichtenden Gelehrten“ sieht und sein Werk als das eines „gelehrten Dichters“, und bündelt an einer Stelle diese Verschränkung folgendermaßen: „Rückert war glücklich und unglücklich über der ‚Seele Doppelleben‘, das ihn ständig zwischen Wissenschaft und Dichtung hin- und herwandern ließ, und er wußte wohl, daß diese uns wunderbar erscheinende Doppelbegabung vielen Lesern das Verständnis für seine Arbeit erschwerte, wenn nicht unmöglich machte.“

Zweitens ist dieser Band des „Weltpoeten“ – so tituliert und umwirbt ihn seine Geburtsstadt Schweinfurt in diesem Gedenkjahr – auf unfreiwillige Weise deshalb so anregend, weil angesichts der Flüchtlinge aus den arabischen Kulturkreisen eine Sichtweise auf eben jene möglich wird, die sich der voreiligen tagespolitischen Zuschreibungen entzieht, und Respekt ihnen gegenüber ermöglicht, indem Rückert beispielsweise als Übersetzer des „gewaltigen Sprachkunstwerks“ des Koran gewürdigt wird. Ja, Rückerts patriotische und nationalpolitische Gesinnung, 1848 auf eine Verfassung samt gewähltem Parlament ebenso wie auf die Pressefreiheit hoffend, verbindet sich anscheinend mühelos mit seiner weltoffenen und neugierigen Haltung gegenüber allen „fremden“ Kulturen. Mithin gewinnt seine patriotisch-kosmopolitische Haltung ungeahnte Aktualität, ja verdient Bewunderung angesichts der Lust und Neugier, sich auf so viele andere Kulturen durch ihre sprachlichen Kunstwerke ein zu lassen. Einer der von Schimmel dankenswerterweise zahlreich eingestreuten Verse Rückerts bringt diesen Gedanken kunstsinnig zum Ausdruck: „Mit jeder Sprache mehr, die du erlernest, befreist / Du einen bis daher in dir gebundenen Geist.“ Ganz in diesem Sinne eines sich befreienden Geistes, sei, trotz der angedeuteten Bedenken, dieser Band als kurzweilige Einführung und Entdeckung dieses Weltpoeten empfohlen.

Titelbild

Annemarie Schimmel: Friedrich Rückert. Lebensbild und Einführung in sein Werk.
Wallstein Verlag, Göttingen 2015.
158 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783835317635

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