Der Krieg im Medium der Normalität

Vorläufige Thesen zur TV-Berichterstattung über den Kosovo-Konflikt

Von Karl PrümmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karl Prümm

Der Krimkrieg war Mitte des 19. Jahrhunderts der erste fotografierte Krieg. Die großformatigen Bilder, die der Fotograf Roger Fenton mit seiner schwerfälligen Apparatur am Ort des Geschehens aufnahm, dokumentierten die zerstörerische Gewalt des Krieges auf eine neue Weise. Sie machten für das interessierte Londoner Publikum die fernen Ereignisse unmittelbar und direkt erfahrbar. Die spektakulären Bilder erschienen anders als die Stahlstiche und Schlachtengemälde als beglaubigte Ansichten wirklicher Ereignisse. Die Fotografie konnte gegen die traditionellen Medien ihren Nimbus des unwiderlegbaren Dokuments ausspielen, Zeiten und Räume überbrücken, das Publikum sehr direkt und suggestiv in die Vorgänge involvieren. Seitdem werden Kriege mit den jeweils modernsten Kommunikationsmedien geführt, die Politik der Bilder wird genauso exakt geplant wie der Einsatz der Waffensysteme. Bilder begründen und begleiten das eigene Handeln.

Demokratisch-liberale Gesellschaften lassen sich aber nicht so ohne weiteres in total beherrschte und zentral gelenkte Kommunikationsräume verwandeln. Die Begründungs- und Darstellungsstrategien der militärischen Akteure müssen mit den Bedingungen der liberalen Öffentlichkeit kalkulieren, um Zustimmung zu erzeugen und zu bewahren, mit einem Markt der Bilder, mit den Gesetzmäßigkeiten der etablierten, funktionierenden Medien. Im Zweiten Weltkrieg unterwarf sich selbst die amerikanische Gesellschaft einer umfassenden patriotischen Mobilisierung und akzeptierte die Bedingungen einer allgewaltigen Zensur. Alle darauffolgenden Kriege, der Korea-Krieg, der Vietnam-Krieg und der Golf-Krieg, konnten jene totalisierte mediale Darstellung und Aufmerksamkeit nicht mehr erreichen. Sie blieben auch in ihrer medialen Reproduktion Teilwirklichkeiten und mußten sich gegen die Bilder der Normalität behaupten. Intensität und Dauer dieser partikular geführten Kriege hängen auch heute entscheidend davon ab, wie diese Konfrontation von Bilderwelten verläuft. Der Vietnam-Krieg wurde abgebrochen, weil die Dauer-Präsenz televisionärer Schreckensbilder für die Öffentlichkeit unerträglich geworden war. Der ständige Anblick grausam verstümmelter ziviler Opfer und napalmverseuchter Landschaften machte nur allzu deutlich, daß es weder rationale Kriegsziele noch eine moralische Legitimation des Handelns mehr gab. Die mediale Präsenz des Krieges ist kriegsentscheidend. Dies gilt sowohl für autoritär kontrollierte und medial manipulierte Gesellschaften und Kriegsparteien (wie das gegenwärtige Jugoslawien) wie auch für die westlichen Demokratien. Entsprechend handeln die Kriegsparteien im Kosovo-Krieg. Die mediale Wahrnehmung des Golf-Krieges war stark geprägt durch die Direktschaltungen von CNN nach Bagdad und in das durch Raketenangriffe bedrohte Israel. Diese televisionäre Teilhabe an dramatischen Ereignissen überdeckte die Tatsache, daß der Golfkrieg eigentlich ein bilderloser Krieg war. Die Panzerkämpfe und Wüstenschlachten, die ihn letztlich entschieden, wurden mit einem strikten Bilderverbot belegt. Das Pentagon ließ nur die Luftbilder zu, die eine absolute Treffgenauigkeit seiner "intelligenten" Waffensysteme belegen sollten. Trotz einer beispiellosen Intensität der Berichterstattung in Echtzeit blieben viele Ereignisse in einem geheimnisvollen Dunkel, entzogen sich der medialen Erschließung, erscheinen bis heute ebenso rätselhaft wie die Krankheit, an der die Golf-Krieg-Veteranen bis heute leiden.

Ganz anders wiederum sind die medialen Konstellationen im Kosovo-Krieg, der in einem ganz direkten Sinne zu einem Medienkrieg wurde. Gezielt zerstörte die Nato mit einem Luftschlag das Zentrum des serbischen Fernsehens, um das gegnerische Fernsehprogramm zu unterbrechen. Der Moment, in dem das Fernsehbild kollabierte und in ein weißes Rauschen überging, wurde dann auch als Beweis einer effizienten Kriegsführung ausgestellt, in den Fernsehprogrammen der Nato-Staaten vorgeführt. Der Ausfall der zentralen televisionären Bildversorgung ist in unserer zivilisatorischen Moderne das prägnanteste Zeichen für den absoluten Ausnahmezustand. Mit Bildern der Normalität beantwortete das serbische Fernsehen in den ersten Tagen des Krieges die Luftangriffe, zeigte Rockkonzerte, tanzende und feiernde Menschen, die die Gefahr verleugneten. Mit der Zerstörung des Fernsehzentrums sollte sicher auch die Propagandamaschinerie des Kriegsgegners lahmgelegt werden. Es war aber auch und vor allem ein sehr direkter und demütigender Eingriff in den Machtraum der Bilder, in die Souveränität der Bildproduktion, ein rigoroser Schnitt in den unendlichen Bilderfluß. In einem demonstrativen Akt wurde der verweigerte Ausnahmezustand mit äußerster Gewalt vor Augen geführt.

Im Krieg der modernen Informationsgesellschaften, und um einen solchen handelt es sich beim Kosovo-Konflikt, werden Bilder mit Funktionen und Bedeutungen überladen. Das fotografische Abbild gilt von jeher als ideales Beglaubigungsinstrument. Die Bildpolitik der Nato bewegt sich ganz in dieser Tradition, Fotos und Videos sollen das eigene Handeln legitimieren. Doch die Reichweiten und Potentiale der Bilder stoßen ganz eindeutig an Grenzen. Auf einer Pressekonferenz glaubte Verteidigungsminister Rudolf Scharping, die Luftangriffe auf Jugoslawien durch Fotos rechtfertigen zu können, die er eigenhändig präsentierte, die neu aufgetaucht seien und ein Massaker an der Zivilbevölkerung im Kosovo dokumentierten, das vor dem Kriegsausbruch stattgefunden habe. Es erwies sich allerdings recht schnell, daß die Fotos längst bekannt waren. Der moralische Rechtfertigungsdruck führt zu übereilten Bilddemonstrationen, die nur fehlschlagen können. Die täglichen Nato-Pressekonferenzen in Brüssel finden in einem Kinosaal statt, die Leinwand ist das Zentrum dieser Veranstaltung. Um die internationale Presse zu beeindrucken, werden dort Videos gezeigt, die in gestochener Schärfe mit Bordkameras den punktgenauen Angriff der Flugzeuge auf die anvisierten Ziele festhalten. Mit jeder Panne, jedem fehlgeleiteten Geschoß, das auf der gleichen Pressekonferenz zugestanden werden muß, büßt die Präzisionsästhetik jedoch an Überzeugungskraft ein. Die irrtümliche Bombardierung der chinesischen Botschaft beschädigte schließlich nachhaltig diese High-Tech-Inszenierung. Die peinliche Fehlleistung offenbarte so ganz nebenbei, daß nicht präzise Kartographien und Luftaufnahmen die dann den Bordcomputern anvertrauten Geschoßbahnen lenken, sondern simple Mund-zu Mund-Informationen vor Ort ausspähender Geheimagenten, die bisweilen aber in doppelter Mission tätig werden.

Dennoch enthüllen diese Bilder etwas. In ihnen materialisiert sich die militärische Strategie der Nato. Sie verabsolutieren den reinen Luftkrieg, sind auf die Monoperspektive der Aufsicht beschränkt. Der Blick von oben verwandelt den Raum in eine abstrakte Fläche und kreiert so eine Kulisse, die das Trugbild vom chirurgisch-sauberen, Menschenopfer schonenden Krieg benötigt. Nur ihre militärischen Erfolge kann die Nato mit Bildern belegen, für die moralische Legitimation ihres Handelns, Völkermord und Vertreibung zu beenden, dem "Schlächter" Milosevic in den Arm zu fallen, gibt es keine Bildbeweise. Wir wissen nicht, was im Kosovo wirklich vorgeht und was unmittelbar vor dem Krieg geschah, denn kein Bilddokument verläßt die Grenzen Jugoslawiens, das nicht der Zensur und der Machtkontrolle des Regimes unterworfen wäre. So kam es zu einem fatalen Patt der Bildstrategien. Beide Kriegsparteien waren zunächst am Schein des beherrschten, die Normalität nicht berührenden Krieges interessiert. Belgrad wollte den Eindruck einer unverwundbaren Alltäglichkeit, die Nato den Nachweis ihrer überlegten, rein militärisch operierender Kriegsführung vermitteln. Erst als die jugoslawische Medienpolitik erkannte, daß der Blick auf die wirklichen Opfer die liberalen Gesellschaften des Westens entscheidend beeinflussen, die Front der Kriegsgegner erheblich verstärken könnte, wurden Schreckensbilder, Bilder furchtbar verstümmelter, zerrissener Menschen frei gegeben.

Von diesem Krieg gibt es keine "objektiven" und unabhängigen Bilder. Alles, was als unmittelbares "Dokument" im Programmdiskurs des Fernsehens vorgeführt wird, ist die Hervorbringung der direkt Beteiligten, folglich eingebunden in umfassende Bildstrategien. Jeder Zuschauer ist eingefangen in ein Netz des Kalküls. Eigentlich bedürfte jedes Bild der genauen Beschriftung, der klaren Kennzeichnung der Herkunft, des Produzenten und seiner primären Funktion, seiner Verbreitung. Ohne diese präzise Beschriftung, darauf verweist bereits Walter Benjamin in seiner "Kleinen Geschichte der Photographie" (1931), muß "alle photographische Konstruktion im Ungefähren stecken bleiben".

Dieses "Ungefähre" aufzulösen, die interessengeleiteten Bilder zu bewerten und zu besprechen und so Erkenntnis und Aufschluß über die verwirrend vielfältigen Ereignisse zu vermitteln, wäre die Aufgabe des Fernsehens gewesen. Das Medium wurde diesem Auftrag aber in keiner Weise gerecht. In den ersten Tagen des Krieges waren die Uniformität der redaktionellen Strategien, die rückhaltlose Unterstützung des Nato-Luftkrieges und die schon fast monotone Legitimationsphraseologie niederschmetternd. In den fast täglichen "Brennpunkt"-Sendungen zeigte sich ein hilfloser Aktualitätsjournalismus, der sich in die Rituale der Live-Schaltungen und in die kurzatmigen Statements vermeintlicher Balkanexperten flüchtete. Die Normalitätsmaschine Fernsehen nahm sich des Außerordentlichen an, preßte es in die Schablonen des Gewöhnlichen und Vertrauten. Vielleicht blieben auch daher die Bilder der schier endlosen Flüchtlingsströme so merkwürdig neutral. Immer nur wurde ein Blick von außen auf die Ankommenden geworfen, auf ihre Leidenserzählungen und Leidensgesten, ein Blick, der nicht eindringt und daher abprallen muß. Die Erschöpften und Geretteten blieben in einer Fremdheit, eine Individualisierung der Erfahrung, die Nähe hätte erzeugen können, fand nicht statt.