Todgeweihte Riesen

Lothar Frenzʼ liebevolle Hommage an die Nashörner

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kaum ein anderes Wildtier wurde und wird so vielschichtig wahrgenommen wie das Nashorn. Wer ahnt etwa schon, dass sich auf diese grau-braunen Säugetiere jene Kleinmädchentraumwesen gründen, die neuerdings eine merkwürdig Popularität auch unter Erwachsenen genießen: die Einhörner. So heißt denn auch das indische Panzernashorn rhinoceros unicornis, das Stoff für so manche Legende von der Bibel bis zu Marco Polo war. Doch dieser Ausflug zur Geschichte des Einhorns steht in Lothar Frenzʼ Hommage an die Dickhäuter eher am Rande, bildet gewissermaßen den sagenhaften Einstieg. Danach spannt er in einem angenehmen, nicht allzu plaudernden Ton einen weiten Bogen zwischen Natur- und Kulturgeschichte zu einem der „erstaunlichsten Tiere der Welt“.

Diese Reise durch die Jahrhunderte bringt in der Tat verblüffend viele Sichtweisen zutage. Zuerst war das Nashorn ein „wildes Ungetüm“, ein unbesiegbares, kraftstrotzendes Tier, das keinerlei Furcht zu kennen schien. Plinius der Ältere berichtet von jenem Nashorn, das um 55 v. Chr. in Rom mit einem Elefanten kämpfte. Martial staunt über einen Auftritt im Kolosseum: „Denn es schleudert den Bären mit doppeltem Horn, wie ein Stier schleudert es die ihm gesetzten Lanzen zu den Sternen“. Albrecht Dürers berühmtes Porträt Rhinocerus (1515) – Dürer hatte nie ein leibhaftiges Nashorn gesehen – zeigt dann auch ein Zwitterwesen, das mehr Kampfmaschine als Tier zu sein scheint. Sein Panzernashorn scheint in der Tat unverwundbar zu sein. Und er weiß um die Exotik und die martialische Erscheinung seines „Rhinocerus“; geschickt spricht er sein Publikum an: „Es hat ein scharf stark Horn vorn auf der Nasen. Das beginnt es alsbald zu wetzen, wo es bei Steinen ist“. Doch damit nicht genug: „Das dosige Tier ist des Elefanten Todfeind“, raunt er in seiner Bildbeschreibung.

Das Dürerʼsche Bild hält lange vor. Erst als Mitte des 18. Jahrhunderts ein junges Panzernashorn nach Europa gebracht und in vielen Ländern ausgestellt wird, ändert sich die Wahrnehmung. Das Nashorn wird geradezu modern, eine gigantische Werbekampagne tut sein Übriges: Künstler malen die „Jungfer Clara“, zahlreiche Stiche und Ölgemälde zeugen von der Popularität des Tieres, die sich selbst in der Mode der damaligen Zeit niederschlägt. Aus dem wütenden Kampfkoloss wird ein sanftmütiges Tier von exotischer Schönheit.

In der Kunst war das Nashorn also angekommen, in der wirklichen Welt setzte jedoch bald eine Periode ein, die die realen Tiere an den Rand der Auslöschung führte. Die Großwildjagd versprach ein unvergleichliches Abenteuer, zahllose Nashörner wurden zum Vergnügen abgeschlachtet – und im 19. und frühen 20. Jahrhundert war der asiatische Markt für das angeblich wundersame Horn noch wesentlich kleiner als gegenwärtig. Das Nashorn ist heute in seinem Bestand äußerst gefährdet, die Forschung streitet sich, ob die überlebenden Tiere überhaupt noch die Population aufrechterhalten können.

So wird Frenzʼ Hommage an das Nashorn geradezu zu einem Requiem für eine todgeweihte Spezies, denn allzu lange wird es jene kurzsichtigen, sanftmütigen Riesen wohl nicht mehr geben. Umso wichtiger, dass sich der schöne Band der „Naturkunden“ im Verlag Matthes & Seitz dieser Tiere angenommen hat. Herausgekommen ist ein liebevoll gestaltetes Bändchen, das nicht nur ein Porträt ist, sondern auch ein Weckruf für die Zukunft eines – in der Tat – erstaunlichen Tieres.

Titelbild

Lothar Frenz: Nashörner. Ein Portrait.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017.
128 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783957574732

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