Es gibt keine Rückkehr zum Normalen

Aleksandar Tišmas Roman "Treue und Verrat"

Von Sebastian DomschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Domsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Obwohl Sergije mittlerweile in Belgrad wohnt, besucht er an jedem Wochenende seine Eltern in Novi Sad, und eine Eigentumsfrage um die Wohnung seiner Eltern bringt ihn in Kontakt zu alten Bekannten aus der Zeit vor und während des Krieges. Vor allem das Wiedersehen mit der Deutschen Inge, die mittlerweile mit ihrem Mann in Wien lebt, wirft Sergije aus der Bahn und läßt ihn, der gerade versucht, seine Ehe zu retten, eine Affäre beginnen.

Von den fast ausgebrannten Resten seiner Ideale getrieben, ist Sergije ein Ruheloser, der sich nicht in sein Schicksal fügen mag und doch nicht die Kraft besitzt, sich dagegen zu wehren. Einen Gegenpart hat er in seinem alten Freund Eugen, der sich eine zurückgezogene Existenz in einer unaufgeräumten Junggesellenbude eingerichtet hat, vergraben in unzähligen Büchern. Beides, die Ruhelosigkeit wie der Rückzug vor der Gesellschaft, sind Reaktionen auf den Zusammenbruch der eigenen Welt. Beide zeigen sich schließlich als unzulänglich - die Freundschaft von Sergije und Eugen zerbricht an der Last der Vergangenheit.

Seit 1991 erzählt der serbische Autor Aleksandar Tišma vom "Gebrauch des Menschen" und von seiner Zerstörung durch Totalitarismus, Krieg und Haß. Ohne Rücksichten auf den derzeitigen Stand der Erinnerungs-, Gedenk- und Mahnmaldebatten konfrontiert er uns mit dem durch keine Theodizee begründbaren Bösen der Nazijahre und der Fortsetzung des Terrors im kommunistischen Jugoslawien. "Die Schule der Gottlosigkeit" heißt der 1993 erschienene Band mit Erzählungen, in dem -genau wie in seinen anderen Büchern - Tišma von Menschen berichtet, die durch diese Schule gegangen sind, und die nun versuchen, wieder als Menschen zu leben. Zum Beispiel der Überlebende Miroslav Blam, der sein Überleben wie eine Schuld erfährt, oder Vilko Lamian, der im Lager Auschwitz zum Kapo und damit selbst zum Täter wird. Oder aber Sergije, der im Widerstand gekämpft hat, dafür in ein Gefängnis kam, und der sich nicht in der neuen Weltordnung der Nachkriegszeit zurechtfindet.

Auch Tišmas Buch "Treue und Verrat" spielt im jugoslawischen Novi Sad, und reicht von der Mitte der sechziger Jahre bis in die Gegenwart. Tišma hat Novi Sad, diesen provinziellen Schmelztiegel der Nationen und Ethnien, von Anfang an zum Zentrum seines erzählerischen Kosmos gemacht. Die Topographie des Schreckens dieser Stadt hat er vor allem in "Das Buch Blam" gezeichnet, in dem der Stadtplan zur Chronik der vergangenen Verbrechen wurde.

"Treue und Verrat" bildet den Abschluß des fünfbändigen Romanzyklus, an dem Tišma seit 1978 schreibt. Der Krieg ist hier lange vorbei, die Städte wieder aufgebaut, doch die Zerstörung, die er in den Menschen angerichtet hat, ist immer noch gegenwärtig. Sie zeigt sich in der Unfähigkeit, Gefühle ohne Berechnung auszuleben, oder in der Kälte, mit der Beziehungen eingegangen und aufgelöst werden. Sexualität, die bei Tišma immer eine große Rolle spielt, wird als eine mögliche Ausflucht aus der Unmenschlichkeit beschrieben, läuft dabei jedoch immer Gefahr, zur egoistischen Begierde zu werden; so wie das Band, das Inge mit ihrem Mann Balthasar verbindet, und das zu gleichen Teilen aus Schutz, Lust und Gewalt besteht. Oder Sergijes mißglückte Ehen, die in Betrug oder Entfremdung von seiner Frau und seiner Tochter enden.

Das Grauen der Entmenschlichung wird in "Treue und Verrat" auf eine weniger schreckliche, weniger ausweglose Art gezeigt als in Tišmas früheren Büchern. Es kommt unterschwellig und gibt dem Leser kurzzeitig die Gelegenheit zum Aufatmen. Doch auch in "Treue und Verrat" stellt sich beim Leser schließlich die Erschütterung angesichts des Krieges und seiner Folgen ein, eine Erschütterung, die jeder Beschwörung von Normalität spottet.

Titelbild

Aleksandar Tisma: Treue und Verrat. Aus dem Serbischen von Barbara Antkowiak.
Carl Hanser Verlag, München 1999.
304 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3446196676

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