Der Traum von der Trivialität

Lieselotte Pouh entdeckt einen Zusammenhang zwischen "Wiener Literatur und Psychoanalyse"

Von Ulla BiernatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulla Biernat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die drei heute fast vergessenen Autoren Felix Dörmann (1870-1928), Jakob Julius David (1859-1906) und Felix Salten (1869-1945) stehen im Mittelpunkt von Lieselotte Pouhs Arbeit "Wiener Literatur und Psychoanalyse". Ziel der Autorin ist es, den Einfluß der Psychoanalyse "im Leben [der drei Autoren] und in je einem ihrer Werke aufzuzeigen". Dabei geht sie zuerst rezeptionsgeschichtlich vor, ehe sie dann die Werke - eine "dramatische Ballade", eine Novelle und eine "Geschichte" - psychoanalytisch interpretiert.

Schon das zur Einleitung umfunktionierte Vorwort läßt erkennen, daß es sich bei dieser Arbeit um ein ordentlich zusammengetragenes Büchlein von Naheliegendem und Altbekanntem handelt. Daß sich die Literatur des Jungen Wien und die Psychoanalyse gegenseitig beeinflußt haben, wußten wir - aber wie? Die Kunst-Szene Wiens wurde in der Tat vor allem von Juden getragen - aber warum? Freud war "seit frühester Jugend mit Literatur vertraut" und bekam sogar von bekannten Schriftstellern Bücher geschenkt - na und? Im Kapitel "Freud und die Literatur: Ein Überblick" nimmt der undifferenzierte, methodenlose Zugriff fast bizarre Formen an: Nach einer Aufzählung von Freuds Lektüre-Erlebnissen ("In Latein muß Freud für die Matura eine Stelle aus Vergil übersetzen und in Griechisch 14 Verse aus dem König Ödipus") folgt ein unkommentiertes, aber säuberlich chronologisch geordnetes Destillat aus der bisweilen irrelevanten Sekundärliteratur zu diesem Thema.

Weniger ärgerlich, da die Autorin hier zögernd Neuland betritt, sind die ausführlichen Lebens- und Werkschauen der drei Schriftsteller, besonders die Bibliographie von Davids Schriften. Größtenteils sind die Kapitel, in denen es um die Berührungspunkte zwischen der Psychoanalyse und dem Werk der Autoren geht oder um deren direkten Kontakt mit Freud, dürftig. So bleibt Spekulation, ob Dörmanns Gedichtsammlung "Neurotica", mit der er 1891 schlagartig berühmt wurde, Freuds Neurosentheorie beeinflußt hat. Davids Gemeinsamkeiten mit Freud sind vielfältiger, doch zeigt die Autorin kein Geschick darin, die Fakten entsprechend ihrer Bedeutung zu gewichten: "Sowohl Freud als auch David fühlten sich vom Süden, speziell von Italien angezogen." Schön für sie.

Der literaturgeschichtlich wichtigste der drei Autoren, Felix Salten ("den die meisten Menschen nur als Autor von Bambi kennen - und auch da nur durch den Film Walt Disney's"), macht für Pouh den Traum jedes Literaturwissenschaftlers wahr: "Im Zusammenhang mit meinen Recherchen stieß ich im Archiv des Schwiegersohns von Felix Salten, Veit Wyler, der hochbetagt in Zürich lebt, auf zwei Briefe Freuds an Salten. Der eine ist schon im Jahre 1930 veröffentlicht worden, der andere Brief dagegen war bisher unbekannt." In diesem fünfzeiligen Brief vom 20. September 1926 lobt Freud den seinerzeit bekannten Feuilletonisten Salten für einen Artikel; und es wird deutlich, daß die beiden sich (flüchtig?) gekannt haben. Mehr als die platte Feststellung von Freuds "Interesse an der Geschichte der Stadt [Wien]" gibt der Brief allerdings nicht her.

Verdienstvoll an Pouhs Arbeit ist die Idee, nicht ein weiteres Buch über die Freud-Rezeption von Hofmannsthal, Schnitzler oder Kraus zu schreiben, sondern drei heute unbekannte Autoren des Jungen Wien in den Kontext der Psychoanalyse zu stellen. Aber die Sorgfalt und wissenschaftliche Neugier, die aus dem Buch sprechen, wurden vergeudet an die sicher notwendigen Vorarbeiten für ein solches Unterfangen; eine synthetisierende, kritische Interpretation des Materials fehlt. Mit der Sichtung trivialer Tatsachen ist es jedoch nicht getan.

Titelbild

Lieselotte Pouh: Wiener Literatur und Psychoanalyse. Felix Dörmann, Jakob Julius David und Felix Salten.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 1997.
251 Seiten, 40,40 EUR.
ISBN-10: 3631314450
ISBN-13: 9783631314456

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