Die (Er-)findung der Benjaminschen Einheits-Philosophie

Dissertation über die Möglichkeit einer "messianischen Hermeneutik" bei Walter Benjamin

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Benjamins Denken und Schreiben machen es dem Leser nicht leicht. Scheinbar losgelöst von philosophischen Schulen und Richtungen hält sein Werk viele Stühle besetzt. Hinzu kommen auf den ersten Blick geradezu paradoxe Einflüsse von jüdischem Messianismus und marxistischem Materialismus. Dass der "Engel der Geschichte" nicht unberührt blieb von Gedanken seiner Zeit, ja dass er stark an die philosophische Tradition gebunden war, das versucht Thomas Schwarz Wentzer in seiner Dissertation zu beweisen.

So verortet der Autor Benjamin nicht nur in der Zeitgeschichte, sondern erbringt auch den Nachweis, dass sich in die Denkwelt des Philosophen, Schriftstellers und Kritikers Einflüsse der klassischen, aber auch der neueren Philosophien eingeschrieben haben. Zum Verständnis der Komplexität des Benjaminschen Gedankengebäudes tragen jedoch weniger die Übereinstimmungen als die Abgrenzung Benjamins von diesen Philosophien bei. Ausgehend von Schlegels Kunsttheorie entwirft Schwarz Wentzer den Benjaminschen Kunst- und Kritikbegriff. Benjamins Fundamentalkritik am Marburger Neukantianismus wird detailliert nachgezeichnet, so dass die Rückkehr zu Kant und seine eigene Einschreibung eines metaphysischen Erfahrungsbegriffs in die Kantsche Erkenntnistheorie unabdingbar erscheinen. An diesem Punkt erlange dann die Sprachphilosophie eine besondere Bedeutung, die in der Engführung mit Heideggers Sprachphilosophie gipfelt. Demnach hätten Heidegger und Benjamin sich zumindest beeinflusst. Den Höhepunkt stellt die Gadamer-Derrida-Debatte dar - "die Schüler Heideggers streiten um das Erbe Hegels" -, die der Benjaminschen Position ihren Platz zuweise.

Das Ziel seiner Arbeit - das Denken Benjamins als ein Modell hermeneutischer Philosophie zu rekonstruieren - gelingt Schwarz Wentzer, mehr noch: sein Buch gibt einen hervorragenden Überblick über die Problemlage der hermeneutischen Philosophie. Dieses Unterfangen ist nicht ohne Anspruch; dementsprechend intensiv gestaltet sich die Lektüre - lohnen dürfte sie sich allemal. Ebenso fundiert wie konzis gibt der Autor einen klaren Aufriss, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Probleme insbesondere der neueren Forschung werden zwar nur angerissen, weiterführende Literatur findet sich jedoch in den Fußnoten. Der breitere philosophiegeschichtliche Kontext findet seine adäquate Darstellung.

Die Arbeit Schwarz Wentzers besticht, abschliessend gesprochen, durch zweierlei: Zum einen durch die Parallelführung von Benjamin und Heidegger, die trotz aller Gegensätzlichkeit erfolgreich ist. Zum anderen prägt der Autor mit der "messianischen Hermeneutik" nicht bloß einen Begriff, sondern konkretisiert die schwer fassbare Philosophie Benjamins in der begrifflichen Zuspitzung. Die Heterogenität des Benjaminschen Werkes gesteht er zwar ein, gibt aber durch die Rekonstruktion einer Hermeneutik Benjamins jene Kategorien vor, die dem Leser eine philosophische Verortung erleichtern.

Titelbild

Thomas Schwarz Wentzer: Bewahrung der Geschichte. Die hermeneutische Philosophie Walter Benjamins.
Philo Verlagsgesellschaft, Berlin 1998.
373 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3825700895

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