Amüsieren auf höchstem Niveau

Javier Marías' Band "Schwarzer Rücken der Zeit"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich kann mir nur vorstellen, etwas zu schreiben, wenn ich Spaß daran habe, und ich kann nur Spaß daran haben, wenn ich Interesse daran habe", steht im Vorwort des 1999 erschienenen Erzählbandes "Als ich sterblich war" zu lesen. Vor allem hat der auch hierzulande gefeierte spanische Erfolgsautor Javier Marías Spaß an der Literatur und daran, seine Leser aufs interpretatorische Glatteis zu führen.

Man könnte den nun erschienenen Band "Schwarzer Rücken der Zeit" als eitle Selbstbespiegelung ablehnen, weil Marías sich nun aufmacht, seine eigenen Romane und deren Entstehungsgeschichte zu beschreiben. Doch der 49-Jährige kann sich diesen literarischen Luxus erlauben und erweist sich - wie schon in seinem im Frühjahr erschienenen Glossenband "Alle unsere frühen Schlachten" - als hintersinniger Humorist.

Marías täuscht vor, dem Leser erzählerisch die Grenzen zwischen Realität und Fiktion erklären zu wollen. Tatsächlich aber entlarvt er viele seiner Weggefährten und die, die es gerne sein wollen. All diejenigen, die sich in seinen Romanen wieder zu erkennen glauben, erhalten eine schallende Ohrfeige, denn Marías scheut sich nicht davor, die Aufdringlichkeit dieses Personenkreises zu demaskieren.

So erfahren wir in einer Episode von einem Anruf, den der Autor während seiner Arbeit am Roman "Mein Herz so weiß" erhielt. Ein renommierter Cervantes-Forscher erkundigte sich, ob er denn auch in der Handlung vorkäme. Er lässt sich vom Autor eine Passage vortragen, in der ein bekannter Literaturwissenschaftler auftritt und äußert dann die Bitte, ob Marías in diesem Abschnitt nicht das Wort "Tugend" durch "Genie" ersetzen könne.

Während der Autor gleich zu Beginn des neuen Bandes klarstellt, "dass ich Fiktion und Wirklichkeit nie verwechselt habe", scheinen viele Personen aus Marías' Dunstkreis die Werke als Schlüsselromane gelesen zu haben. Vor allem aus Oxford, wo Marías zwei Jahre gelebt und am elitären universitären Alltag teilgenommen hat, brandeten Stürme der Empörung nach dem Erscheinen des Romans "Alle Seelen" auf. Viele Professoren erkannten sich wieder und mussten dann erfahren, dass der Autor sie einfach sterben ließ.

Höhepunkt dieser Irrungen und Wirrungen zwischen Realität und dichterischer Imagination: In Oxford will jemand die Professorin Clare Bayes getroffen haben - die Liebhaberin des Protagonisten in "Alle Seelen" -, von der Marías selbst sagt, dass es eine der wenigen Romanfiguren war, die von keiner lebenden Person abgeleitet worden ist.

Genau entgegengesetzt verhält es sich mit dem ins Oxford-Milieu verfrachteten Schriftsteller John Gawsworth, den die Professoren-Clique ob seiner Marotten ablehnte und als "Erfindung unseres Spaniers" einordnete. Doch diesen etwas verschrobenen Dichter hat es tatsächlich gegeben - der Ehemann von Javier Marías' andalusischer Großmutter stand Pate.

So treibt der Autor über viele Seiten hinweg ein detektivisches Spiel - voller Schadenfreude über die Unwissenheit der vermeintlich interpretatorisch unfehlbaren Philologen. Als Leser partizipiert man gern an diesem Schabernack, ohne allerdings zu wissen, auf welcher Ebene von Fiktion und Wirklichkeit man sich gerade bewegt. "Die Fiktion ist stärker als die Realität. Vielleicht ist sie die letzte Zuflucht der Erinnerung", hat Marías einmal in einem Interview bekundet. Vor allem hat Literatur bei ihm spielerischen Charakter. Das Jonglieren mit Fakten, Erinnerungen und Imaginationen bereitet Marías eben jenen Spaß, ohne den er sich seine Arbeit nicht vorstellen kann.

Herausgekommen ist nun mit "Schwarzer Rücken der Zeit" ein anspruchsvolles literarisches Puzzlespiel, bei dem man sich auf höchstem Niveau amüsieren darf.

Titelbild

Javier Marías: Schwarzer Rücken der Zeit.
Übersetzt aus dem Spanischen von Elke Wehr.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2000.
377 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3608935088

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