Courtroom Drama

Der amerikanische Gerichtsfilm seit seinen Anfängen

Von Ralf Georg CzaplaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf Georg Czapla

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gerichtsfilme zählen zu den populärsten Produkten der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Gleichermaßen im Kino wie im Fernsehen zu finden, erregen sie weltweit großes Zuschauerinteresse. Obwohl bereits der Stummfilm Gerichtsszenen kannte, etablierte sich das courtroom drama als filmisches Genre erst mit der Einführung des Tonfilms. Kaum ein Film wurde seitdem produziert, der das Publikum nicht in irgendeiner Weise polarisiert hätte, sei es in der Frage nach Schuld und Unschuld des Angeklagten, nach Befangenheit oder Unparteilichkeit der Richter, nach der Rechtmäßigkeit polizeilichen Vorgehens, nach Angemessenheit oder Unangemessenheit des von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaßes oder nach der Strategie der Verteidigung. Die unübersehbare Attraktivität des US-Gerichtsfilms liegt vor allem darin begründet, dass in ihm nach allgemeiner Auffassung amerikanisches Rechtsempfinden und amerikanische Rechtsstaatlichkeit zum Ausdruck kommen. Nicht zuletzt deshalb entfaltet ein Großteil der seit den zwanziger Jahren gedrehten Filme systemstabilisierende Wirkung.

Trotz seiner enormen mediengeschichtlichen Bedeutung fand das courtroom drama in der Wissenschaft bislang nur geringe Aufmerksamkeit. Diesem Missstand versucht nun Matthias Kuzina mit seiner Studie über den amerikanischen Gerichtsfilm abzuhelfen. Ausgehend von den Schlüsselbegriffen Justiz, Ideologie und Dramatik nimmt er vorrangig zwar die Filmproduktionen der letzten fünfzig Jahre in den Blick, spannt zugleich aber den Bogen zurück zu den Anfängen des Films. Die Beschränkung auf den amerikanischen Film erscheint dabei allein schon aufgrund der Materialfülle plausibel. Von den mehr als 500 Kino- und TV-Filmen, die den Zuschauer in den Gerichtssaal führen, wählt Kuzina mehr als achtzig aus, die er in neun verschiedene Kategorien einteilt: den Kriminalgerichtsfilm, den Justizthriller, den historischen Gerichtsfilm, den ,authentischen' Gerichtsfilm, den Anwaltsfilm, die Gerichtssatire und Gerichtskomödie, den Gerichtsfilm als Problemdrama, die Hybridformen des Gerichtsfilms und den Geschworenenfilm. Kuzina sieht die primäre Bedeutung des modernen courtroom drama in der kritischen Reflexion über rechtskulturelle Normen und ihre gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Dies gelte seiner Auffassung nach insbesondere für die Verfilmung solcher Prozesse, die ein Äquivalent in der amerikanischen Justiz- und Sozialgeschichte besäßen. Bei fingierten Rechtsfällen trete dagegen die Dramatisierung rivalisierender Wahrheitsbehauptungen in den Vordergrund. Gerichtsfilme mit einem hohen Emotionspotenzial versuchten in der Regel Verständnis für die Spezifik des amerikanischen Rechtssystems zu wecken, während ideologiekritische Filme dessen Vorbildcharakter für die außeramerikanische Welt in Frage stellten. Als allgemeine Tendenz des courtroom drama seit 1949 sieht Kuzina schließlich die Forderung nach einer stärkeren Humanisierung der amerikanischen Justiz.

Kuzinas Studie basiert auf einer gründlichen Ermittlung und Auswertung des Filmmaterials. Dass der Verfasser sich nicht nur auf medienwissenschaftliche Fragestellungen beschränkt, sondern soziologische, juristische und kulturelle miteinbezieht und seine Ergebnisse sprachlich angemessen darzustellen weiß, gehört zu den unbestreitbaren Vorzügen des Buches. Das Fehlen jeglichen Bildmaterials fällt demgegenüber kaum ins Gewicht.

Titelbild

Matthias Kuzina: Der amerikanische Gerichtsfilm. Justiz, Ideologie, Dramatik.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000.
336 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 352520793X

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