Pariser Surrealismus

Eine leicht schöngefärbte Auswahl

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Auswahl "politischer Pamphlete der Surrealisten" verspricht der Untertitel der Dokumentensammlung "Es brennt!". Aber gemeint ist stets nur die Gruppe der Pariser Surrealisten, die zwar ein gewichtiger Teil der surrealistischen Bewegung gewesen ist, aber eben doch nur ein Teil. Zudem läßt erst ein Blick ins Inhaltsverzeichnis erkennen, daß nur der Zeitraum zwischen 1925 und 1939 dokumentarisch abgedeckt ist.

Die politische Geschichte der Pariser Surrealisten um Breton während dieser Zeit malt in groben Strichen das Vorwort von Heribert Becker. Dazu wird der Pinsel tief in die schönsten Farben getaucht. Zu schöne, um ein gänzlich wahres Bild malen zu können. So gerät es etwa schönfärberisch, wenn der Pariser Gruppe bescheinigt wird, über all die Jahre hinweg mit "unveränderbare[r] Entschlossenheit und Unkorrumpierbarkeit [...] für die totale Befreiung des Menschen und seines Geistes" gestritten zu haben. Denn besonders freiheitlich klingt es nicht, wenn es in einem ihrer Texte von 1931 heißt, daß "dieses unübersehbare Geschmeiß des Christentums [...] ausgerottet werden" müsse. Von Religionsfreiheit zumindest wird hier nicht viel gehalten.

Ein weiteres Beispiel: Zwar geißelt Becker einerseits den Stalinismus, von dem die Surrealisten sich bereits verhältnismäßig früh abgewandt und den sie als "Produkt" der "abendländisch-christlichen Zivilisation" kritisiert haben, gerade so, als seien sie selbst direkt vom Himmel gefallen. Andererseits aber nennt er Trotzki, den ehemaligen Oberbefehlshaber und Schlächter der Roten Armee während des Bürgerkrieges, mit dem Breton sich in der zweiten Hälfte der 30er Jahren zusammengetan hat, in sympathisierendem Tonfall einen "greisen Revolutionär", ohne ein Wort über Kronstadt oder die Invasion Georgiens zu verlieren.

Insgesamt wird aufgrund der Beschränkung auf die Pariser Surrealisten der falsche Eindruck erweckt, als sei dem Surrealismus per se eine kommunistische oder gar libertäre Ideologie eigen. Nicht ins Bild gerückt wird so nämlich etwa die Sympathie, die ein Dali einem Hitler entgegengebracht hat.

Formal zu monieren ist noch, daß die Zitate im Vorwort - wenn überhaupt - miserabel belegt sind. Mal ist als Quelle lediglich ein Name genannt, mal ein Name und eine Jahreszahl.

Trotz all dieser Mängel liegt eine Dokumentensammlung vor, die man durchaus zur Hand nehmen kann, wenn man sich einen Überblick über die politischen Texte der Pariser Surrealisten während der 20er und 30er Jahre verschaffen möchte. Allerdings muß man wissen, daß man mehr nicht zu erwarten hat.

Titelbild

Heribert Becker: Es brennt! Politische Pamphlete der Surrealisten. Übersetzt, herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Heribert Becker.
Edition Nautilus, Hamburg 1998.
156 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3894012986

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