Identität zwischen Mythos und Technik

Kampf dem Manga

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch ist dick, schwarzweiße Zeichnungen erzählen von Japan - ein Manga? Weit gefehlt. Fernab vom Hau-drauf-Stil dieser ebenso populären wie inhaltsarmen Comicform erzählt David B. höchst intelligent von der Verschmelzung von Ost und West, von Mythos und Technik. David B. ist zwar Mitglied der Pariser Comickünstlergruppe "L'Association", doch im Gegensatz zu Lewis Trondheim wird um sein Werk wenig Aufhebens gemacht. "Das bleiche Pferd" (Reprodukt) ist erst die zweite größere Veröffentlichung in Deutschland, trägt aber entscheidend dazu bei, ein neues Bild des ambitionierten französischen Gegenwartscomics zu prägen.

Seine Visitenkarte in Deutschland lieferte David B. mit dem "Tengu" ab. Dabei dient ihm die Legende des Tengu (wörtlich "Himmelshund", ein japanisches Gespenst oder ein Kobold) als Vorlage für zweierlei Reflexionen: zum einen die De- und Rekonstruktion des Mythos im modernen Japan, zum anderen das Eindringen des Westens in das fernöstliche Inselreich, festgemacht an der Eisenbahn und am Gewehr. Die Handlung ist eng geknüpft, zahlreiche kulturhistorische Zitate religiöser Konnotation bilden den Hintergrund eines Mythos: Immer zur Jahrhundertwende treten die Füchsin und der Pilz auf, zwei Dämonen, die die Erde unter sich aufteilen wollen. Parallel dazu wird die Geschichte eines Samurai-Schülers erzählt, der den Mord an seinem Lehrer rächen will und unerwartete Unterstützung durch den Tengu findet. In einem ebenso fulminanten wie abstrusen Höhepunkt kommen alle Figuren zusammen.

Bewusst greift der Autor die vorletzte Jahrhundertwende, also das Jahr 1900, auf. Hier lässt sich das allmähliche Einsickern westlicher "Kulturgüter", wie eben Gewehr und Eisenbahn, mit einem ungebrochenen Idealbild japanischer Kultur verknüpfen. Die "Bösen" sind die Dämonen und der Samuraimörder; ausgestattet mit einer Langnase und behaart am Körper. Diese intelligente Klischeebildung gibt den Blick auf anti-eurozentrische Wahrnehmungsmuster frei.

Auch die Wahl des 20. Jahrhunderts geschieht bewusst. Hier kann der Autor einen Gegenpol aufbauen zur Techno-Ästhetik der Mangas. Dabei verfällt er jedoch nicht einem imitierenden Orientalismus. Die runden Schwarzweiß-Zeichnungen verzichten auf direkte Zitate aus dem Bildschatz japanischer Tuschezeichnungen, deuten vielmehr neu und vollbringen auf stilistischer Ebene jene Symbiose von Ost und West, die inhaltlich negiert wird. Schlichte, fast asketische Panels stehen neben solchen, die mit ornamentalen Körpermassen gefüllt sind und einer Persiflierung handlungs- und sequenzbetonter Mangas darstellt. Dieses Schema behält der Autor selbst in Action-geladenen Kampfszenen bei, die hier ihrer Sequenzialität beraubt werden und eine lose Folge von momenthaften Tuschezeichnungen darstellen. Die glatte Oberfläche japanischer Durchschnittscomics wird hier aufgerauht durch eine Gewaltdarstellung, die in ihrer Akzentuierung die Splattermentalität der Mangas in ihre Schranken verweist und als inhaltsleeres Oberflächenspiel entlarvt.

Weit interessanter ist jedoch der Blick auf die Mythen. Einzelne Protagonisten fungieren als Erzähler dieser Geschichten und greifen damit das Konzept verbaler Mythenbildung auf. David B. entwickelt diese Mythen weiter oder deutet sie gar um.

In Zeiten von Patchwork-Identities, in denen sich jeder auf dem Markt der Religionen bedient, stellt David B. eine Konstante der Verunsicherung dar - und gibt mit dem Blick durch eine fremde Brille die Sicht auf eine Neukonzeption von Mythen, Identitäten und Selbstverständnissen frei, die in schöner Klarheit Brüche unseres - nicht nur religiösen - Selbstverständnisses offen legen.

Titelbild

David B.: Der Tengu.
Übersetzt aus dem Französischem von Martin Budde.
Edition Moderne, Wuppertal 1999.
144 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3907055306

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