Anspruch und Wirklichkeit

Religion zwischen Kitsch und Kunst

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lorenzo Mattotti muss wohl als einer der künstlerisch ambitioniertesten Comiczeichner gelten. Seine Öl- und Pastellzeichnungen haben Eingang in die hohen Hallen von Kunstmuseen gefunden und den internationalen Comic um Gestaltungsmöglichkeiten bereichert. In seinem neusten Werk, für dessen Szenario Claudio Piersanti verantwortlich zeichnet, widmet er sich zum wiederholten Male der Macht schwarzweißer Bilder. Aus einzelnen Strichen wachsen Gesichter, Körper und Figuren.

Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Trinker, dessen Hände plötzlich Stigmata aufweisen. Auf der Suche nach Erklärungen wird er zum Obdachlosen, dann zum Jahrmarktarbeiter, um schließlich in einem christlichen Hospiz zu landen. Im Sinne eines christlichen Mysterienspieles, aber auch im Sinne von Umberto Ecos zeitloser Konzeption der Vagantendichtung lässt Mattotti seine Hauptfigur selber zu Worte kommen. Dieser erzählt von der Anonymität europäischer Großstädte, von Gewalt gegen Außenseiter. Der Überfall auf Obdachlose wird zum Symbol für die Blindheit und Unempfindlichkeit der Städte. Rassismus und Ausgrenzung sind nach wie vor gesellschaftlich akzeptiert.

Wie die Mitglieder von "L'Association" spielt Mattotti mit der Wiederholbarkeit, der Sequenzialität von Bildern. Besonders an den Träumen des Protagonisten lässt sich das festmachen: Hier reiht sich assoziativ Bild an Bild, um sich aufzulösen in Linie und Strich, sich weiterzuentwickeln zu einem Kunstkonzept, das sich selbst und seinen Spielregeln verpflichtet ist. Hier zeigen sich Parallelen zum neueren italienischen Film, man denke nur - als negatives Beispiel - an Bertolucci oder positiv gesprochen an Pasolini. Aber Mattottis Schwäche liegt genau hier: so ambitioniert sein Comic ist, so herausragend seine Bedeutung bei der grafischen Ausleuchtung und Erweiterung des Mediums ist, so wenig hat er zu erzählen. All zu vorhersehbar gestaltet sich die Handlung. Angeboten hätte sich ein Spiel mit klassischen Mysterientopoi, stattdessen präsentiert der Italiener einen mystisch verbrämten Religionsbrei, der sich inhaltlich nicht zwischen Kitsch und Kunst zu entscheiden vermag.

Titelbild

Lorenzo Mattotti / Claudio Piersanti: Stigmata.
Übersetzt aus dem Italienischen von Daniel Wagner.
Edition Kunst der Comics, Sonneberg 2000.
190 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3895934607

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