Schatten im Sonnenland

Marcus Patka zeichnet die Schicksale deutscher Schriftsteller im mexikanischen Exil nach

Von Patrik von zur MühlenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrik von zur Mühlen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Exotische Länder haben immer schon die Phantasien der Menschen beflügelt. In sie projizierte man Ängste und Sehnsüchte. Sie konnten gleichermaßen Synonym für Hölle und Paradies sein, ihre Bewohner sich als furchterregende Kannibalen und als edle Wilde präsentieren. Gegenstand dieser unterschiedlichen Präsentationen war für die deutschsprachige Literatur des 20. Jahrhunderts auch Mexiko. Zwar war es weder bevorzugtes Einwanderungsland, noch verbanden sich sonstwie mit ihm nennenswerte historische Berührungspunkte. Aber gerade seine Ursprünglichkeit und Unverwechselbarkeit gaben ihm in Verbindung mit anderen Eigenschaften eine Stellung in der Vorstellung der Deutschen, die ihm kaum ein anderes Land streitig machen kann.

Zwar gab es schon vorher eine kleine Zahl von Mexiko-Emigranten, die sich aus politischen und beruflichen Gründen zu diesem Lande hingezogen fühlten. Beispiele waren der unter seinem Pseudonym B. Traven bekannt gewordene, vollkommen zurückgezogen lebende Schriftsteller Ret Marut oder der Wirtschaftstheoretiker und Lateinamerika-Spezialist Alfons Goldschmidt. Für die meisten jedoch bildete die politische Entwicklung in der Heimat den bedrückenden Hintergrund, der die Begegnung eines bedeutsamen Personenkreises aus Mitteleuropa mit Mexiko herbeiführte: die Flucht und erzwungene Emigration von politisch und 'rassisch' Verfolgten, die schließlich, da kein anderes Land sie aufnehmen wollte, durch glückliche Beziehungen dort strandeten.

Illustre Namen finden sich dort wieder, für die Mexiko für einige Jahre zur Zufluchtsstätte wurde: Anna Seghers und Ludwig Renn, Bodo Uhse, Ernst Toller und Gustav Regler sowie die in deutscher Sprache schreibenden Publizisten Egon Erwin Kisch und Theodor Balk, tschechoslowakischer Staatsbürger der eine, Jugoslawe der andere. Die beiden Letztgenannten und noch Weitere zeigen: auch eine deutliche Beimischung aus der alten Donaumonarchie bestimmte diesen kleinen literarisch-politischen Zirkel, den der Wiener Publizist und Literaturwissenschaftler Marcus G. Patka in seiner Sammlung von Porträtskizzen vorstellt.

Dazu gehören auch Politiker wie der frühere preußische Landtagsabgeordnete und KPD-Funktionär Paul Merker oder Persönlichkeiten, die in einem Grenzgebiet zwischen Politik und Literatur/Publizistik beheimatet waren: Walter Janka etwa oder Leo Katz und Otto Katz ("André Simone"). Diese Kolonie von Dissidenten bildete niemals eine Einheit, weder eine politische noch eine menschliche. Dass Kommunisten unter ihnen so stark vertreten waren, hing mit den Umständen zusammen, unter denen Mexiko nach dem Ende des Spanischen Bürgerkrieges überwiegend kommunistische spanische Republikaner aufnahm. Das Land hatte, wie Marcus G. Patka in seiner Einleitung schreibt, eine postrevolutionäre Entwicklung hinter sich, stand linken Ideen offen gegenüber und praktizierte eine Toleranz, die - wenn sie der nördliche Nachbar in gleichem Maße geübt hätte - einigen Tausend bedrohten Menschen Konzentrationslager und "Endlösung" erspart hätte. Aber auch Dissidenten aus dem linken Spektrum waren vertreten, so der mit Trotzki befreundete rätekommunistische Pädagoge Otto Rühle und seine Frau Alice, eine Schriftstellerin und Psychoanalytikerin, oder der Ex-Kommunist Gustav Regler, der heftigen Angriffen von Seiten orthodoxer Stalin-Anhänger innerhalb der KPD-dominierten Emigrantenkolonie ausgesetzt war. Überdies gab es militante Zionisten sowie eine große Zahl völlig unpolitischer Emigranten, die nur aufgrund ihrer 'nicht-arischen' Abstammung zur Emigration gezwungen waren.

In seinen Essays, von denen jeder einer Person oder einer kleinen Gruppe gewidmet ist, zeichnet Patka die vielfach verschlungenen Lebenswege nach, deren oftmals einzige Gemeinsamkeit eben Mexiko bildete. Hier begegneten sich Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler und Parteifunktionäre, Kommunisten, abtrünnige Kommunisten und solche, die als "Trotzkisten" diffamiert wurden. Hier bildeten einige, die aufgrund politischer Konflikte ausgegrenzt wurden oder sich aus eigenem Antrieb zurückzogen, einen kleinen politisch-kulturellen Kosmos mit Clubs (Heinrich-Heine-Club), Zeitschriften ( z.B. "Freies Deutschland"), Verlagen ("El Libro Libre") und vielfältigen kulturellen und gesellschaftlichen Aktivitäten.

Mexiko - von manchen Emigranten später als heiteres, farbenfrohes und sonniges Refugium verklärt - hatte auch seine Schattenseiten. Nicht nur die Existenznöte, die viele von ihnen plagten, Entwurzelung und Heimatlosigkeit, Einsamkeit und auch Schwierigkeiten mit den eigenen Schicksalsgenossen, politische und persönliche Zwänge bildeten die dunklen Seiten dieses Exils. Alice Rühle-Gerstel wählte kurz nach dem Tode ihres Mannes Otto Rühle den Freitod. Der größte Teil der Emigranten kehrte ins unwirtliche, bald von Spaltung und Kaltem Krieg beherrschte Europa zurück. Sie waren nicht heimisch geworden, nur eine kleine Zahl von Emigranten blieb im Lande.

Patka spannt den Bogen weiter und schließt auch die "Rückkehr in die Kälte" in seine Betrachtung ein. Mitunter übertrafen die Schicksalsschläge, die einige dort trafen, die der NS- und Exilzeit. Der tschechoslowakische Staatsbürger André Simone, ein brillanter Publizist und Intellektueller im Dienste der Partei, wurde 1948 im Rahmen stalinistischer Säuberungen gehenkt, Paul Merker und Walter Janka durch das SED-Regime verfolgt, inhaftiert und als Unpersonen behandelt. Ludwig Renn war als Opfer für Säuberungsaktionen vorgesehen, entging ihnen jedoch eher durch Zufall, bis die SED ihn als Vorzeigeemigranten entdeckte und für sich instrumentalisierte. Die Brüche des 20. Jahrhunderts spiegeln sich so in den gebrochenen Biographien der Zeitzeugen wider.

Marcus G. Patka schildert die Schicksale in kurzen, lesbar und interessant geschriebenen Essays, jeweils in der richtigen Länge, um sich für kurze Zeit in eines der Schicksale vertiefen zu können. Auf diese Weise gelingt es ihm, die Vielfalt, Farbigkeit und Widersprüchlichkeit der Biographien einzufangen. Dabei beruht das durch Leichtigkeit im Stil ausgezeichnete Buch auf umfassenden Quellenstudien in Archiven, auf Interviews mit einigen noch lebenden Zeitzeugen und auf gründlicher Kenntnis der umfassenden Literatur zum Thema: ein empfehlenswertes Buch für alle, die sich von der Vielseitigkeit des Exils in Mexiko und der damit verbundenen menschlichen Schicksale faszinieren lassen wollen.

Titelbild

Marcus Patka: Zu nahe der Sonne. Deutsche Schriftsteller im Exil in Mexiko.
Aufbau Verlag, Berlin 1999.
250 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3746680344

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