Der Kreislauf des Sekundären

Aufsätze von Botho Strauß von 1987 bis 1999 in einem Sammelband

Von Oliver van EssenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver van Essenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Beim Lesen der jüngsten Aufsätze von Botho Strauß, die nun in einem Sammelband erschienen sind, werden wir Leser den Eindruck nicht los, daß dieser Autor sich und sein Dichtungsverständnis mit aller Kraft unangreifbar machen möchte. Ein Denkmal errichtet er für auserwählte Dichter - Homer, Hölderlin, Rudolf Borchardt und Ernst Jünger. Der heutigen Gesellschaft stellt er einen Totenschein aus: Gestorben am Sekundären, am inflationären Geschwätz der Medien.

Doch halt! Botho Strauß scheint vergessen zu haben, daß "Der Aufstand gegen die sekundäre Welt", so der Titel des Buchs, selbst schon zum sekundären Diskurs gehört. Dieser Widerspruch durchzieht das ganze Buch, auch wenn Strauß ihn nicht offen ausspricht. Es läßt sich vermuten, daß er dies aus strategischen Gründen nicht tut. Der Aufstand gegen die öffentliche Kultur der Diskreditierung und Bloßstellung, gegen tägliche Verbreitung von Ignoranz durch Nachrichten und Meinungen, gegen die "umfassende Mentalität des Sekundären" verdeckt die Tatsache, daß der Aufstand eben dieser Mentalität entspringt.

Es handelt sich bei dem Buch um eine potenzierte Form der Sekundärkommentierung. Strauß formuliert so, als ob er immer sehr viel besser als Journalisten und Gelehrte wüßte, was wesentlich ist und was nicht. Entschieden vertritt er diese Position in der Würdigung Rudolf Borchardts (1987). Borchardt stammt für Strauß "aus der Mitte aller" und hat "für alle zu sprechen". Diese Sprache ist jedoch nur von einzelnen zu verstehen, wie Strauß in seinem berühmt-berüchtigten Essay "Anschwellender Bocksgesang" (1993) anmerkt. "Die Minderheit! Ha! Das sind bei weitem schon zu viele! Es gibt nur das Häuflein der versprengten einzelnen. Ihr einziges Medium ist der Ausschluß der vielen."

Aus der Mitte aller, für alle und doch unter Ausschluß von vielen nur für einzelne? Das scheinbare Paradox verdankt sich einem Jargon der Eigentlichkeit, den Strauß wie kaum ein anderer beherrscht. Von schlüssigen Argumenten hält er wenig, von suggestiven Andeutungen dafür umso mehr. Geistige und gesellschaftliche Entwicklungen der Gegenwart werden in ein, zwei Sätzen oder gar mit einem Schlagwort abgehandelt. Was eigentlich gemeint ist, läßt sich nur erahnen. Das Eigentliche, verstanden als Ereignis, das den Menschen mit einem Schlag aus dem Alltag herausreißt, manifestiert sich für Strauß vor allem in der Kunst und in der Religion, aber auch in der Weltgeschichte, beispielsweise in der deutschen Wiedervereinigung. In seinem Nachwort zu George Steiners "Von realer Gegenwart" (1991) schließt er sich emphatisch Steiners Apotheose des Kunstwerks an. Angestrebt wird nichts geringeres als die Wiederentdeckung seiner "theophanen Herrlichkeit, seiner transzendentalen Nachbarschaft".

Der Jargon der Eigentlichkeit ermöglicht es Strauß, beinahe willkürlich von einem Phänomen zum anderen zu springen, vom sekundären Diskurs zum Verlust moralischer Werte und schließlich zum ursprünglich gedachten Geist des Kunstwerks. Im Unterschied zu den Thesen und Argumenten im öffentlichen Diskurs offenbart die Kunst für Strauß den Zauber der Wirklichkeit. Daher auch der Untertitel des Buchs: "Bemerkungen zu einer Ästhetik der Anwesenheit".

Daran wäre noch nichts anstößig. Strauß´ Bemerkungen aber sind von einem geradezu missionarischen Eifer geprägt, als müßte gerade heute noch einmal die Botschaft der Kunst über die allergrößten Widerstände hinweg in die Herzen der Menschen hineingetragen werden. Die antiautoritäre Ideologie der Studentenbewegung kanzelt er ebenso ab wie die gesamte Vergnügungs- und 'Kulturindustrie'. Die provokanten Essays lassen sich als literarische Manifeste lesen. Die Grenzen zu Strauß´ Prosa sind fließend.

Zusätzlich zu den bereits erwähnten Essays enthält der Band einen Aufsatz über Peter Stein (1997) und den Essay "Zeit ohne Vorboten" (1999). Lesenswert sind die Aufsätze aus den Jahren 1987 bis 1999 vor allem deshalb, weil es sich bei Strauß um einen der streibarsten Intellektuellen der Gegenwart handelt. Der Essay über Georg Steiners "Von realer Gegenwart" und der "Anschwellende Bocksgesang" haben die Kulturkritker 'links' wie 'rechts' gleichermaßen auf die Barrikaden gebracht. Mit der Berufung auf das Wesen und den Ursprung des Kunstwerks reproduziert Strauß eine klassische kulturkonservative Position. Die Behauptungen, daß es ein Wesen und einen Ursprung tatsächlich gibt, bleiben jedoch bestehen, sind sie doch empirisch nicht nachweisbar und damit nicht widerlegbar.

Titelbild

Botho Strauß: Der Aufstand gegen die sekundäre Welt. Bemerkungen zu einer Ästhetik der Anwesenheit - Adition Akzente.
Carl Hanser Verlag, München 1999.
120 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 3446196668

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