Nicht rumstehen, setzen!

Katja Lange-Müllers Schwarzkunst

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Bleigrau hätten" die Wolken über dem Anfang der Geschichte hängen können, aber zuviel Symbolik, zuviel Pathos, zuviel Deutlichkeit ist Katja Lange-Müllers Sache nicht. Im wahrsten Sinne des Wortes "sympathisch" beschreibt sie "Die Letzten" in ihren "Aufzeichnungen aus Udo Posbichs Druckerei". Dort stehen sie an ihren Maschinen und verwenden immer noch die seit einem halben Jahrtausend bewährte Technik, Papier mit Farbe zu versehen.

Wie sinnig, dass dieses Buch über das Ende einer Ära und ihre letzten Vertreter erscheint, da die Welt den sechshundertsten Geburtstag von Gutenberg feiert, dem es um die Mitte des 15. Jahrhunderts mit Hilfe eines Konsortiums und viel "venture capital" gelang, ganz neue Instrumente, Maschinen, Arbeitsabläufe und neue Stoffe (z. B. die Tinte) zu entwickeln.

Man versteht Lange-Müller besser und tiefer, wenn man dazu Stephan Füssels herrliches Buch über den Mainzer Schwarzkünstler liest, das selbst tatsächlich in Bleisatz, im "Gutenbergschen Verfahren" gedruckt wurde. Die Schönheit von Gutenbergs ersten Bibeln, die dort in Abbildungen zu bewundern sind, wurde nie wieder erreicht: vollkommen die Gleichmäßigkeit und Zeilenhaltigkeit des Satzes, die Klarheit und Schärfe der Schrift, die bei der sogenannten "B42" aus nicht weniger als 292 verschiedenen Drucktypen bestand, unübertroffen die satte Schwärze der Druckfarbe. Wann je stellte sich eine neue Technik mit einem derart perfekten ersten Produkt vor?

Mit ihr bildete sich auch ein neuer Berufsstand - die Druckergesellen, die Setzer. Ihre Geschichte steht noch aus, doch weiß jeder historisch Interessierte, dass gerade sie es waren, die als Lesekundige und Schriftbeherrscher in Revolutionen und Bürgerkriegen zu den wichtigsten und wachsten Kämpfern gehörten. Schwer, gefährlich, giftig war ihre Arbeit, laut, einsam und häufig streng kontrolliert. Trotzdem stellten sie die Flugblätter 1848 oder 1918/19 her, vervielfältigten sie antinazistische Propaganda unter Lebensgefahr. Als verschroben galten diese Gesellen, die spiegelverkehrt auf die Welt sahen und vielleicht deswegen mehr erkannten als andere. Nur unter ihnen fand man die wahren Meister der Orthographie; merkwürdige Wörtergebildete, die selbst wenn sie etwas nicht kannten, wussten, wie man es schreibt.

Traurig endete das Bleizeitalter, still und unwiederruflich. Offset-Druck, Photosatz, elektronischer Satz, die Computer beendeten nicht nur ein Handwerk, sondern eine Kunst. Schlimmer noch, sie schufen das typographische Chaos: scheußlich, dumm, borniert. Ohne Technik- oder Innovationsverächter zu sein, kann man an diesem Übergang zum Computerzeitalter erkennen, wie gewaltsam und besinnungslos alle Errungenschaften des Drucks mit beweglichen Lettern ohne Not aufgegeben wurden. Man könnte ja auch mit Computersatz typographisch schöne Bücher produzieren!

In Udo Posbichs Druckerei gibt es keine politischen Feuerköpfe und keine Aufträge für ästhetische Druckgebilde. Die Belegschaft freut sich schon, wenn außer kleinen Vereinszeitschriften regelmäßig Hochzeitsanzeigen und ähnliche Kleinaufträge gesetzt werden können. Mitten im DDR-Staatssozialismus sehen die Setzer in dem Privatbetrieb doppelt schwarz in die Zukunft, weil sie gesellschaftlich wie technisch vor dem Aus stehen. Wer hier arbeitet, hat seine besonderen Gründe - nett gesagt. Außenseiter, Unfähige, Psychotiker sind sie allesamt, übriggeblieben und wie nur aus Zufall noch am Leben. "Püppi, die einarmige blaue Elefantin" erzählt von sich und Fritz und Willi und Manfred. Eine Belegschaft des Grauens arbeitet bei Udo Posbich. Alles Versehrte, die sich hierher gerettet haben, ins Lee des "wind of change". Doch der wird sie auch hier erfassen. Erst einmal erfahren wir aber von Püppi ihre Geschichte und die der Kollegen - abstruse, zutiefst Mitleid erregende Geschichten, getragen von großem Humor und tiefer Humanität. Eine alkoholgeschwängerte, depressive Atmosphäre der Aussichtslosigkeit vermag Lange-Müller zu zaubern, die sich mit Wenedikt Jerofejew messen kann und genauso anrührt. Setzer-Jargon und Handwerker-Ton imitiert sie nicht einfach, sondern stilisiert sie vorsichtig und kunstvoll durch dutzendweise treffliche Tiermetaphern und viele Zeugmata. Ob ein Polier oder eine Gloxinie getötet wird, ob ein Mann einen Zwilling gebiert oder jemand mit Wortzwischenräumen geheime Botschaften in die Welt schickt, es bleibt die Balance zwischen realistischem Erzählen und Groteske stets gewahrt.

Soll man da noch von dem unübersehbaren biographischen Verweisspiel schreiben? Von den auf der Hand liegenden symbolischen Deutungsmöglichkeiten? Oder lieber doch davon, dass auf den hundertsiebenunddreißig Seiten allenthalben Goldkörner glänzen, dass sich hier der zweite Blick immer lohnt? Vielleicht sollte man aber auch einfach noch einmal von vorne beginnen mit dieser Wetterbeschreibung, die so konventionell einzuführen scheint und doch gleich den Ton anschlägt, der auf eine andere Ebene versetzt:

"Den Himmel, zu dem ich hochsah, wann immer mir das Wort 'frei' einfiel, verdunkelten an jenem Augustabend vor zwanzig Jahren riesige, schwer auf fußballfeldgroße Flachdächer herabhängende Wolken, in deren Unterseiten, oder sollte ich 'Wampen' sagen, sich Antennen bohrten, Schornsteine stemmten."

Titelbild

Stephan Füssel: Gutenberg und seine Wirkung.
Insel Verlag, Frankfurt 1999.
192 Seiten, 32,70 EUR.
ISBN-10: 3458169806

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Titelbild

Katja Lange-Müller: Die Letzten. Aufzeichnungen aus Udo Posbichs Druckerei.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000.
144 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3462029290

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