Epilepsie in der Literatur

Ein Meilenstein der Reihe "Literatur und Wissenschaft im Dialog"

Von Gerhard KöpfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhard Köpf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Epilepsie als Anfallsleiden ist, wie kaum eine andere Krankheit, von Anfang an mit dem Odium von Faszination und Abscheu verbunden. Jene Literatur, die sich dieses Themas annimmt, macht durch die Kraft der Fiktion erst sichtbar, worum sich Phänomenologie, Diagnose und Therapie seit Jahrhunderten bemühen. Im Gegensatz zu früheren Zeiten sind heute freilich die Begegnungen von Medizin und Literatur in der Wissenschaft selten geworden. Man mag dies einerseits begrüßen, zumal der Fortschritt der medizinischen Wissenschaft ungleich bedeutender ist als jener der oft dürftig um sich selbst kreisenden Philologie. Man mag es aber auch bedauern, weil doch beide Disziplinen erheblich voneinander lernen könnten, wenn sie sich nur endlich wieder annähern würden.

Einen kühnen Versuch in diese Richtung wagt die vorliegende Publikation als zweiter Band der Reihe "Literatur und Wissenschaft im Dialog". Der Mut hat sich gelohnt, denn es ist gleich ein Meilenstein daraus geworden. Allein die Namen der Herausgeber bürgen für Qualität: Dietrich von Engelhardt aus Lübeck ist einer der bedeutendsten Medizinhistoriker der Gegenwart, Hansjörg Schneble hat mehrfach Grundlegendes zur Epilepsie publiziert, Peter Wolf vom Epilepsiezentrum in Bethel dürfte an praktischem und theoretischem Wissen auf diesem Gebiet kaum zu überbieten sein. Deren Lehrer Dieter Janz wiederum ist ebenfalls mit einem Beitrag zu Epilepsiegestalten bei Dostojewskij würdig vertreten. Überhaupt sind die Beiträger von ebenso international anerkanntem wie fachwissenschaftlichem Format, gleichviel, ob der Germanist Gerhard Sauder über Sinn und Zweck von Krankheitsmotiven in der Literatur referiert, ob Johan A. Aarli aus dem norwegischen Bergen Tryggve Andersens Roman "Gegen Abend" auf das Thema Epilepsie hin befragt oder der Trierer Anglist Norbert H. Platz erneut auf den Wert der hierzulande weit unterschätzten Neuseeländerin Janet Frame verweist. Der Bogen der untersuchten Autoren reicht von Dostojewskij bis Nietzsche, von Thomas Mann bis Thomas Bernhard, von Elsa Morante bis Thomas Pynchon. Weltweit spielt also Epilepsie in der Literatur eine nicht gerade kleine Rolle. Was ebenso frappant wie spannend dargestellt wird, ist ein Sachverhalt, den Literaturwissenschaftler alleine bisher nicht erkannten. Mediziner machen es ihnen in kluger Zusammenarbeit mit komparatistisch mutigen Philologen in dieser glänzenden Initiative auf exemplarische Weise vor. Zugunsten des Lesers wird auf allzu viel Fachjargon wohltuend verzichtet. Gibt es eine spannendere Lektüre als die über Literatur und Medizin, Krankheit und Symbolik? Dass es in dem Sammelband auch zum Nachdruck von bereits verstreut in Fachzeitschriften publizierten Aufsätzen kommt, ist weit mehr zu begrüßen als zu benörgeln, denn endlich werden die samt und sonders auf der Höhe ihrer Wissenschaften befindlichen Essays auch einem breiteren Publikum zugänglich. Ebenso begeistert wie dankbar nimmt der Leser schließlich die Filmographie von Giovanni Maio auf, der mit einem gescheiten Beitrag zum Wandel des Epilepsie-Motivs im Film glänzt. Die Zusammenstellung literarisch einschlägiger Texte von Wolf und Schneble und die Fachbibliographie (Engelhardt) am Ende des Bandes erhöhen seinen Wert. Derlei hilft nämlich nicht nur weiter, sondern es schließt Horizonte für weitere Forschungsinitiativen auf. Wer sich als Laie fachlich intensiver informieren will, der sei ergänzend auf Heinz Häfners grundlegende Arbeit "Das Rätsel Schizophrenie" (2000) verwiesen. Jener Leser aber, der auf die ehrwürdige Formel von prodesse et delectare setzt, wird reich belohnt an Einsicht und Sensibilisierung, geht es in diesen Studien doch zuletzt um eine "Medizin als Heilkunst und eine Kultur als Heilkraft". Solch eine klare Aussage hat man lange vermisst. Will man noch mehr? Ja, dass dieser brillante Band bald als wohlfeiles Taschenbuch weitere Kreise zieht.

Titelbild

Dietrich von Engelhardt / Hansjörg Schneble / Peter Wolf (Hg.): Das ist eine alte Krankheit. Epilepsie in der Literatur.
Schattauer Verlag, Stuttgart 2000.
312 Seiten, 25,10 EUR.
ISBN-10: 3794520971

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