Criticising the Critic

Literaturberichterstattung im Fernsehen

Von Michael SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Schmitt

Im Begriff "Literaturkritik" steckt implizit und explizit ein hoher Anspruch - und in der täglichen Praxis ein großes Problem. Das trifft das Feuilleton der Zeitungen genauso wie ein Kulturmagazin im Fernsehen. Man wird zerrieben zwischen der schnellen Produktion von Büchern, zwischen angeblicher Pflicht zur Berichterstattung gegenüber dem Leser oder Zuschauer sowie den subjektiven Vorlieben. Wie viel Kontemplation und Abwägen ist damit noch vereinbar? Wo ist die Grenze zum schnellen Vorkosten? Zum flotten Buchtipp?

Wer sich "beim Fernsehen" mit Literatur befasst, fragt das alles umso besorgter, denn schließlich hieß es schon im ersten Jahrbuch des ZDF 1962/63 sinngemäß, dass Fernsehen zwar einen kulturellen und pädagogischen Auftrag habe, dass die Formen aber populär und flüchtig bleiben müssten.

Zwischen Fernsehen und Literatur herrscht ein gespanntes Verhältnis - und es gibt ein paar gängige Formeln dafür: Etwa den Klassiker "Bild und Text passen nicht zusammen"; oder von Bodo Kirchhoff die Feststellung: "Das Fernsehen ersetzt die Literatur durch das Bild der Literatur (des Dichters)"; oder auch jene Verdammung von Jochen Hörisch: Literatur im Fernsehen, das ist die ebenso generöse wie desaströse Zuwendung des Siegers im Wettbewerb der Medien...

Hinter solchen Urteilen stehen befremdliche Erfahrungen: Das Fernsehen betreibt auch beim kürzesten Beitrag einen ungeheuren materiellen Aufwand - und das für ein Ergebnis, das demgegenüber irgendwie spärlich erscheint. Grob überschlagen kann man für das Geld, das ein 45-Minuten-Film kostet, die komplette Hardcover-Auflage jenes Romans herstellen, um den es geht. Und die Kosten eines gut gemachten Magazinbeitrages würden einen erheblichen Teil der Taschenbuchauflage des gleichen Buches finanzieren.

Die Malaise dabei: Umgerechnet in reines Textvolumen - eine allerdings etwas fragwürdige Kalkulation - enthält der 45-Minüter etwa soviel Inhalt wie ein Zeitschriftenbeitrag, und der Magazinbeitrag entspricht einer mittleren Rezension in der Tagespresse.

Fernsehen antwortet auf die Fülle der literarischen Worte nicht wieder nur mit Worten - anders als Radio oder Zeitungen, und es kommt hinzu, dass die Worte meist hinter dem zurücktreten, was das Fernsehen stattdessen aufbietet: alles das, was man "Bilder" nennt. Und die Frage, um die es immer wieder gehen muss, lautet: Fügen diese Bilder den Worten etwas hinzu oder verdecken sie nur den Zugang zur Literatur?

"Bild" ist jede optische Anmutung auf der Mattscheibe: plätscherndes Wasser zu Texten von Trakl oder Rilke, die Krawatte des Kritikers; der Autor, der sich gedankenverloren beim Interview mit der Hand durch die Haare fährt. All diese Eindrücke dringen vorrangig in die Wahrnehmung des Betrachters ein, wenn er sich darauf einlässt, in jenen Kasten zu starren, der ihm das alles präsentiert. Das ist ein vorbewusstes Verhaltens-Programm, gewissermaßen evolutionär verankert, eine Überlebensfunktion: Was sich bewegt, könnte ein Angriff sein... also gefährlich... solange dagegen nur geredet wird, ist wohl alles halb so schlimm.

Im Kern heißt das: Ob Sie Literatur vorlesen lassen oder Interviews zeigen oder einen journalistischen Kommentar zu so genannten Kulturfilmbildern ausstrahlen - das Bild dominiert die Wahrnehmung; und das Gescheiteste, was Sie tun können, besteht darin, mit diesem Faktor zu arbeiten.

Welche Elemente aus der "Sphäre der Literatur" kommen demnach im Fernsehen zur Geltung und welche nicht? Ungefähr unter diesem Blickwinkel hat Hubert Winkels vor kurzem im ersten Heft von "Literaturen" ein kleines Plädoyer für den offensiven Umgang mit dem Bildmedium gehalten und Schriftstellerinnen und Schriftstellern empfohlen, sich forsch der Möglichkeiten zur Selbstdarstellung, zur Imagebildung, zu bedienen. Er hat aber auch die gerne gepflegten feinen Unterschiede mit schöner Deutlichkeit betont:

"Es kommt darauf an, wie die Literatur aus ihrem Schriftraum heraustritt, und vor allem: wie sich das andere, das fremde, historisch gewissermaßen feindliche Medium ihr öffnet."

Das heißt im Kern: Wenn diese Medien sich aufeinander einlassen, geben sie jeweils ihre spezifische Eigenart auf - und das ist schon mal ein Defizit. Das wird dadurch noch gesteigert, dass das Fernsehen ein "historisch gewissermaßen feindliches Medium" ist. Warum eigentlich? Steckt dahinter mehr als eine beliebte und empirisch bis heute nicht wirklich bewiesene kulturkritische Haltung, die das Leitmedium Schrift durch den Strom der geistfreien Bilder hinweggespült sieht? Ist das nicht bloß eine vorteilhafte strategische Ausgangsbasis für ritualisierte Debatten? Aus dieser polarisierenden Position heraus wird nämlich eine ultimative Forderung an das Medium Fernsehen überhaupt erst möglich: sich der Literatur nämlich so zu öffnen, dass diese sich "in ihrer Eigenart" darstellen könne.

Was heißt das, wenn nach verbreiteter Ansicht Interviews oder durchschnittliche Magazinbeiträge diesen Zweck bisher nicht erfüllen können? Soll Literatur im Fernsehen vorgelesen werden? Das geschieht ja schon alle Jahre wieder beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, der in voller Länge übertragen wird. Und man darf durchaus Zweifel daran hegen, dass dies eine besonders erfolgversprechende Art ist, komplexe Texte einem interessierten Publikum nahe zu bringen. Der Fernsehapparat ist schließlich nicht mehr der Altar, um den herum sich die Familie versammelt, um kulturelle Bereicherung und Sinnstiftung zu erfahren.

Die Forderung an das Fernsehen scheint mir ebenso absolut wie unklar - und ich fürchte, dass sie von falschen Voraussetzungen ausgeht. Wenn Fernsehen ein Medium ist, das vor allem das Auge anspricht, dann heißt das noch lange nicht, dass es gegenüber dem literarischen Wort feindlich gesonnen sein muss. Es heißt nur eines: Dieses "literarische Wort" kann nur schlecht direkt wiedergegeben werden; Literatur kann nicht als kontemplative Lektüre-Erfahrung zur Geltung kommen. Die Möglichkeit, mit den spezifischen Fernseh-Mitteln etwas über die Literatur zu erzählen, darüber zu berichten, ist damit noch gar nicht ausgelotet. Zugespitzt formuliert: Wenn Literatur im Fernsehen als Literatur funktionieren würde - wäre sie dann überhaupt noch Literatur?

Reicht es nicht, wenn man dem Fernsehen abverlangt, dass es sich - in seinem spezifischen Rahmen - mit Obacht und handwerklicher Sorgfalt der Literatur annähert? Dann gibt es immer noch genug zu kritisieren - mit etwas moderateren Tönen allerdings -, so wie in den 60er und 70er Jahren auch schon häufig über das Thema gestritten worden ist. Auch damals war klar, dass Bild und Text nicht gut zusammengehen - alle wesentlichen Argumente sind ja auch schon mindestens 30 Jahre alt -, aber von einer "historischen Feindschaft" im heutigen Sinne war noch nicht die Rede.

Das war allerdings, so muss man fast schon sagen, in der Frühzeit des Fernsehens der Bundesrepublik; zu einer Zeit, als die Programmangebote schmal und allesamt öffentlich-rechtlich waren - noch ohne den ungemilderten Zwang zur Rentabilität und zur gegenseitigen Verdrängung aus begrenzten Märkten.

In den Jahrzehnten seither hat sich das sehr verschoben - und vielleicht hat ja die Verschärfung des Tones in manchen Debatten um die Programmangebote weniger mit den Programmen selbst und mehr mit einer tiefen Verunsicherung zu tun, die sowohl die Medien wie die Verlage ergriffen zu haben scheint.

Es gibt, ganz einfach, von all dem immer mehr und auf jeden Fall viel zu viel. Man kann das mit einem Blick durch die kulturkritische Brille so beschreiben: da gibt es die traditionelle primäre kulturelle Leistung, die Literatur oder das Kunstwerk im emphatischen Sinne - und das nachgeordnete, immer lautere sekundäre Rauschen der Medien, das als parasitär und zunehmend anstößig empfunden wird.

Man kann aber mit gleichem Recht einfach auch verschiedene parallel nebeneinander ablaufende - und eng miteinander vernetzte - Prozesse der Ausdifferenzierung von "kulturindustriellen Komplexen" beschreiben, die alle dazu führen, dass immer mehr Produkte immer schneller und mutmaßlich auch in immer schlampigerer Aufmachung auf die jeweiligen Märkte geworfen werden. Das geht überall mit Rationalisierungen, Fusionen und mit Überproduktion einher.

Das Medium Fernsehen als Markt mit langfristig vielversprechenden Wachstumschancen lässt sich in der Bundesrepublik seit Beginn der 80er Jahre, seit der Einführung des privaten Fernsehens ganz gewiss so beschreiben - und niemand findet etwas dabei, denn keiner hat etwas anderes erwartet.

Der Buchmarkt lässt sich ganz genauso skizzieren - und das geschieht ja auch turnusmäßig -, in der Bundesrepublik zweifelsfrei seit etwa 1970; damals begannen Holtzbrinck und Bertelsmann mit ihren Einkäufen; damals begann das Geschäft mit Bestsellern, die noch nicht geschrieben waren, aber schon aggressiv promotet wurden. Wer in einem unabhängigen Verlag oder in den Feuilleton-Nischen eines Medienhauses arbeitet, kann davon ein Lied singen - und bezieht einen Teil seines Selbstgefühls gewiss aus der Tatsache, für die vergleichsweise unrentablen Bücher und also für das Höhere tätig zu sein. Damit ist aber auch die Angst gewachsen, nicht mehr wahrgenommen zu werden. Die Spielräume scheinen umso enger zu werden, je gewaltiger die Konzerne wachsen - und die Zumutungen der neuen Diskurse, der Dauer-Rede von Sponsoring, von Synergie, von Quoten- oder Rendite-Vorgaben haben bestimmt zu einer neuen Empfindlichkeit beim Sprechen über Geld und Kunst geführt.

Man nimmt den Buchmarkt schließlich, wenn es um Literatur im emphatischen Sinne geht, nur zu einem kleinen Teil wahr. Man spricht nicht über die 70.000 Bücher, die im Jahr verlegt werden, sondern eigentlich nur über ein paar hundert, vielleicht auch ein paar tausend, über Belletristik, Lyrik und Sachbücher, oft also über Titel, die ein Zuschussgeschäft darstellen. Die Geldmaschinen des Buchmarktes sind kein Feuilleton-Thema - und müssen es auch nicht sein.

Aus dieser Position heraus - letztlich höchst ehrenvoll mit dem Rücken zur Wand - ist das schrille, laute und geldmächtige Fernsehen natürlich prinzipiell suspekt. Es nützt die Popularität von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, aber es interessiert sich dabei nicht immer für deren Werk, sondern für die Person, etwa in Talk-Shows. Es rückt literarische Sendungen oft in Programmzusammenhänge, die im besten Falle mit dem Wort "bizarr" zu charakterisieren sind; es egalisiert und es nivelliert anscheinend auch - denn was ist beim gelangweilten Zappen der Unterschied zwischen der Hausfrau im Nachmittags-Talk und der postfeministischen Autorin im Kulturprogramm? Hier verschwimmen leicht jene Unterschiede, die Verlagssignets auf Bücherrücken für den Insider anderenorts noch markant erkennbar werden lassen.

Nur: "das Fernsehen" gibt es so wenig wie "den Buchmarkt". Und auch nur ganz bestimmte Programmsegmente sind der Berichterstattung über Literatur gewidmet - Literaturmagazine, Features, allgemeine Kulturmagazine. Sie alle nutzen, wie vor 30, 40 Jahren eine ganz geringe Zahl von Berichtsformen: das Interview, das Porträt als Film oder die rezensierende Besprechung. Und man sollte sich nicht täuschen: Der Charakter dieser einzelnen Elemente hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel weniger verändert als das mediale Umfeld, innerhalb dessen sie gesendet werden. Zu immer späteren Sendezeiten natürlich - aber auch das hat man schon in den 60ern beklagt, als "spät" noch gegen 22.00 Uhr hieß...

Was kann man aber nun mit diesen Sendeformen tatsächlich leisten - und was nicht?

Das Interview mit einem Autor, meist auszugsweise im Rahmen eines Beitrages zitiert, kann die Person vorstellen, die Sicht auf die eigenen Werke oder auf die Welt ringsum - aber das hat natürlich nichts mit "Kritik" zu tun, und gar nicht so selten leiden solche Interviews daran, dass der Autor eben nicht der beste Interpret seiner eigenen Texte ist.

Interpretieren und werten können dagegen Kritikerinnen und Kritiker - die man heute gerne auch "kompetente Leser" nennt -, die zu einem Buch eine Meinung entwickelt haben, die sie direkt in die Kamera darlegen können. "Rezensieren" im Fernsehen - ganz egal wie ernsthaft die Sendung an und für sich gedacht ist - heißt: "In der Kürze liegt die Würze." Man muss knapp formulieren und eher pointiert als im Detail exegetisch - das muss beileibe nicht auf Plattheit hinauslaufen, kann aber... Es verlangt vor allem eine gewisse handwerkliche Fertigkeit: eine Minute, das sind fünf bis sechs Sätze aus je einem Haupt- und einem Nebensatz. Das ist vielleicht die Antwort auf eine Frage - und wer diese Kurve nicht kriegt, dessen Meinung kommt eben nicht zum Tragen. Daneben beeinflusst natürlich auch eine gewisse "Präsenz" der Person die Wahrnehmung des Zuschauers: Körperhaltung, Rededuktus, Suggestivkraft - und deshalb handeln sich Fernsehkritiker meist den Vorwurf ein, sie profilierten sich wie Dompteure auf dem Rücken der Literatur. Und auf deren Kosten. Der Kritiker inszeniert sich als Image - und das Buch als literarischer Text bleibt weitgehend unsichtbar.

Am merkwürdigsten, am verspieltesten und vielleicht auch am problematischsten ist aber wohl der gestaltete Magazinbeitrag. So ein kleiner Film kann vieles versuchen: etwa ein Autorenporträt - dann tauchen die Bücher eher nur am Rande auf; man hört und sieht den Autor reden, spazieren gehen oder kochen; man sieht ihn vielleicht auch in einer bizarren Interview-Inszenierung. Das liefert einen gewissen optischen oder gefühlsmäßigen Überschuss über gedruckte Worte und grob gerasterte Pressefotos hinaus. Man muss das nicht mögen, aber das ist eine originäre Leistung des Fernsehens.

Der Magazinbeitrag kann auch einen Roman vorstellen, der ein besonders brisantes, aktuelles außerliterarisches Thema behandelt. Dann ist die Gefahr groß, dass viel über das außerliterarische Thema und wenig über die Literatur zwischen den Buchdeckeln zu erfahren ist.

Jeder solche Magazinbeitrag kann und muss mit den Mitteln des filmischen Gestaltens etwas über den in Worten oder zwischen den Zeilen gefassten Geist eines Buches berichten. Das heißt: Bildersequenzen müssen an die Stelle von Sätzen oder Satzfolgen treten, um das zu vermitteln, was der Filmemacher über das Buch erzählen möchte. Die Bilderfolgen müssen nicht an die Stelle des literarischen Wortes treten - und sie sollen das literarische Wort auch nicht verfilmen! Das könnten sie auch gar nicht. Sie müssen nur das vor Augen führen, was der Filmemacher über seine subjektive Lesart des Buches erzählen möchte - und er sollte sie deshalb auch so gestalten, dass der Zuschauer diese "Aussageabsicht" ohne weiteres verstehen kann. Denn der Kommentartext kann die Botschaft eigentlich nur verstärken und akzentuieren, indem er sich sehr eng an diese Bilder anschmiegt.

Wie gesagt: der literarische Text kommt dann im Allgemeinen nicht mehr vor - es wird nur mit anderen Mitteln etwas über ihn erzählt.

Was heißt das? Und ist das irgendwie pervers? Nehmen wir ein überschaubares, auch idealtypisch gewähltes Beispiel, einen kleinen Roman von Rafael Confiant, "Das Flüstern der Zamanas". Das ist eine assoziativ komponierte Erinnerung an das Leben auf einer karibischen Insel in den 50er Jahren, unter französischer Verwaltung, in einer kreolischen Kultur. Unter Schwarzen, Mulatten, weißen Grundbesitzern und französischen Beamten. Das alles gesehen durch die Augen eines kleinen Jungen, der sich an den Alltag erinnert, an die verfallene Rum-Destillerie seines Großvaters, an die Märkte, an die schwere Arbeit der armen Tagelöhner auf den Zuckerrohrfeldern.

Nehmen wir an, Sie sollten darüber einen kleinen Film machen und Sie hätten reichlich Bildmaterial über Martinique, über alle Bereiche des Lebens. Sie haben womöglich sogar die Plätze gedreht, an denen die Geschichte gespielt hat. Aber haben Sie damit den Gehalt des Buches eingefangen? An diesen Plätzen sieht es heute anders aus als vor 40, 50 Jahren - und auch die alten Fotos, die der Autor ihnen vielleicht gegeben hat, zeigen ja nur den Ort des Geschehens oder die handelnden Personen -, die literarische Schilderung dieser Dinge ist etwas ganz anderes. Der Schriftsteller liefert ja eine Fiktion, er richtet Erinnerungen literarisch an, er dokumentiert nicht nur eine Art von Aktenlage.

Wenn Sie sich nun als Ziel gesetzt haben, den Gestus der Erinnerung zum Thema ihres Filmes zu machen, dann müssen Sie Bildsequenzen schneiden, die eine solche Haltung vor Augen führen; etwa eine kleine melancholische Folge von Einstellungen aus einer verrotteten Fabrik, rostige Metallteile, verfallene Gebäude, ölige Maschinen, wucherndes Unkraut. Und das alles sollten Sie optisch so stark machen, wie es nur irgend geht - nicht weil jedes kleine Detail, das Sie zeigen, auch im Buch genannt wird, sondern weil Sie so am eindringlichsten dem Zuschauer vorführen können, was Ihrer Meinung nach an diesem Roman besonders lesenswert ist. Eben jene leicht bitter-sweete Färbung des Blickes auf ehemals schwierige Lebensverhältnisse. Es ist Ihre subjektive Entscheidung, wie Sie so etwas gestalten - und es ist auf jeden Fall eine Fiktion, die Sie aufbauen -, aber eine Fiktion, mit der Sie auf die Fiktion des Autors antworten. Und auch dafür, denke ich, werden Bücher geschrieben und veröffentlicht.

Sie können auch einen ganz anderen Film gestalten - wichtig ist nur, dass Sie das alles bewusst "inszenieren", allerdings nur in den Grenzen, die durch eine nachvollziehbare Erfahrung des literarischen Textes vorgegeben sind.

Das kann viel Spaß machen - und ich halte das auch für legitim -, aber es hat natürlich einen gewaltigen Haken: Der Zuschauer sieht nur Ihre Bildersequenzen und erfährt, dass die etwas mit den Inhalten und dem Erzählgestus des Buches zu tun haben. Das ist unproblematisch, wenn es darum geht, für ein Buch zu plädieren - aber das funktioniert überhaupt nicht, wenn es darum geht, deutlich zu machen, dass ein literarischer Text sein selbst gestecktes ästhetisches Ziel nicht erreicht hat, wenn Sie also einen Verriss abliefern wollen.

Wenn Sie nämlich eindrucksvolle Bilder zeigen und dazu einen Off-Kommentartext sprechen, aus dem hervorgeht, dass die Literatur das alles gar nicht eingefangen hat, was auf der Mattscheibe zu sehen ist - dann treten Bild und Kommentar so weit auseinander, dass die Verständlichkeit ihres Beitrages leidet. Andererseits können Sie aber keine schlechten, optisch nicht überzeugenden Bilder nehmen, um eine abschätzige Meinung über das Buch vorzuführen. Denn die schlechten Bilder haben so wenig mit dem literarischen Ausgangspunkt zu tun wie die eindrucksvollen - und was das Schlimmste ist: aus schlechten Bildern wird noch nicht einmal ein plausibler Film.

Um es ganz grob zu pointieren: Wenn Sie in Ihrem Film erzählen wollen, dass es im Buch unter anderem um die miserablen Lebensbedingungen armer Erntearbeiter geht, dann können Sie das inszenieren. Etwa so: schwitzende, schmutzige, schlecht ernährte Menschen, die sich unter üblen Bedingungen abrackern. Eines aber können Sie mit solchen Bildern nicht vorführen, auch wenn Sie es vielleicht gerne möchten: nämlich zeigen, dass der literarische Text für dieses Elend keinen angemessenen Ausdruck findet, dass die Literatur selbst miserabel ist.

Sprechen wir in diesem Zusammenhang nun aber über eine Schwäche des Fernsehens, oder nur über eine charakteristische Eigenheit? Welche anderen Gründe gibt es für den schlechten Ruf? Vielleicht das mangelnde Selbstvertrauen bei der Auswahl von Büchern oder Autoren, die noch nicht weithin bekannt sind? Das gibt es und es hängt ursächlich mit dem Quoten-Druck vieler Sendungen zusammen.

Oder etwa die dünne Finanzdecke, die Filmemacher viel zu oft zu abgedroschenen Archivbildern greifen lässt, statt zum Reisekoffer und zur Kamera? Der Zuschauer sieht dann die immer gleichen drei Einstellungen von Auschwitz, wann immer es um Bücher über Erfahrungen mit dem Holocaust geht...

Literaturkritik im engeren Sinne kann also in filmischer Form eigentlich nicht gestaltet werden, schon gar nicht, wenn es um negative Bewertung geht - weil alles, was man zeigt, nur eine subjektiv vermittelte Beziehung zu jener Literatur hat, auf die man verweist. Die Geschichte, die der Film erzählt, muss für sich genommen als Film überzeugen, der Film muss nicht die Eigenart von Literatur annehmen, er kann es gar nicht. Die Kritik findet - hoffentlich! - im Vorfeld statt, ist für den Zuschauer aber natürlich nicht wirklich nachvollziehbar.

Der Spaß, den das Arbeiten mit Bildern und filmischen Mitteln machen kann, sorgt nicht automatisch für gute Beiträge. 90 Prozent werden immer unbefriedigend sein - aber 90 Prozent aller Romane sind das auch - und vermutlich auch 90 Prozent aller gedruckten Rezensionen.