Wohlklang aus dem Keller

Zu Rose Tremains Roman "Melodie der Stille"

Von Julia SchöllRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schöll

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Peter Claire hat von allem etwas zu viel: er ist ein ungewöhnlich guter Lautenspieler, er ist ausgesprochen ehrgeizig und er sieht unglaublich gut aus. Ja er ist sogar so schön, dass er gelegentlich mit einem Engel verwechselt wird. Und so gibt ihm der musikliebende König Christian IV. von Dänemark, an dessen Hof Peter im Jahre 1629 kommt, nicht nur einen Platz in seinem weltberühmten Hoforchester, sondern auch eine Stellung als sein persönlicher Schutzengel. Peter verbringt die Tage im dunklen und schmutzigen Keller des Schlosses Rosenborg ( denn der König liebt es, die Musik durch ein geschicktes Röhrensystem aus der Tiefe in die oberen Prachtzimmer zu leiten, wo sie dann aus dem Nichts zu kommen scheint und ausländische Gäste in Staunen versetzt. Während der Nächte aber sitzt der Lautenist mit seinem Instrument am Bett des Königs. Dieser erhofft sich von Peters zarter Musik und den philosophischen Gesprächen mit seinem Schutzengel Linderung seiner schweren Gedanken. Selbst plump, dick und hässlich, sehnt sich der König nach Schönheit und Wahrheit. Doch der König hat Sorgen. Nicht nur herrscht nach Dänemarks Beteiligung an den Glaubenskriegen Ebbe im Staatssäckel und Armut im ganzen Land, sondern auch im königlichen Haushalt ist der Friede in Gefahr. Kirsten, die zweite Gattin des Königs, triezt Christian mit ihren Launen und gibt sich wilden Sexspielen mit einem deutschen Grafen hin. Sein prächtiges, aber böses Weib, das ihn nicht mehr liebt, bringt den König fast um den Verstand, und auch Kirsten selbst scheint in Gefahr, von ihren wüsten Lüsten und boshaften Intrigen übermannt zu werden. Dies solange, bis die schöne und bescheidene Emilia aus Jütland auftaucht und als Hofdame nicht nur die überschäumende Galle der Königin zu beruhigen weiß, sondern auch den schönen Peter Claire in Verwirrung stürzt.

Rose Tremain breitet in ihrem Roman "Melodie der Stille" ein solch buntes Geflecht von Personen, Schauplätzen und Perspektiven aus, dass man sich beim Lesen gelegentlich wundert, wie mühelos man sich darin zurecht findet. Neben den Ereignissen am Hof in Kopenhagen erfahren wir die Familiengeschichte Emilias in Jütland, lernen die Königsmutter und des Königs Schwiegermutter kennen, machen einige Abstecher zu Peters Familie nach Norfolk in England und finden uns gelegentlich auf einem irischen Schloss oder in einer norwegischen Silbermine wieder. Wir lesen Briefe, lauschen dem Erzähler, bekommen Einblick in Kirstens Tagebuch und in die Gedanken eines verträumten Kindes, das in Jütland auf die Rückkehr seiner großen Schwester und auf die Erlösung von der bösen Stiefmutter wartet, vor der Emilia nach Kopenhagen floh. Wir lesen von der Gegenwart der beiden ereignisreichen Jahre 1629 und 1630, die durch Träume, Rückblenden und Erinnerungen ergänzt wird. Tremains Roman erscheint einem wie eines jener detailreichen Gemälde, in dem man bei jedem Hinsehen etwas Neues entdeckt. Und über allem schwebt leise der Klang der Musik des 17. Jahrhunderts.

In Großbritannien ist die 1943 in London geborene Rose Tremain, die heute in Norfolk lebt, seit langem eine erfolgreiche Romanautorin, berühmt vor allem durch ihre Historienromane. Ohne Zweifel ist auch "Melodie der Stille" ein Roman, in dem nicht nur das Orchester im Keller den historischen Tatsachen entspricht. Doch beim Abwägen zwischen Historie und Roman schlägt die Waage zugunsten der Fiktion aus. Tremain hat kein verkapptes Geschichtslehrbuch geschrieben, in dem eine ,Story' die Aufnahme historischer Fakten erleichtern soll. Ihr Roman ist ein Vollblutexemplar seiner Gattung ( mit genauen Beobachtungen und Liebe fürs Detail. Tremains Beschreibungen der Landschaft gehören ebenso zur erzählten Geschichte wie die historischen Räume, die die Stimmungen ihrer Bewohner spiegeln. Die Charaktere, dualistisch getrennt in gut und böse, sind dennoch psychologisch fein entwickelt. Die Guten haben ihre Gründe fürs Gut-Sein, die Bösen Gründe für ihren Hass. Und selbst eine engelhafte Gestalt wie Peter Claire hat nicht immer Antworten auf die Fragen des Daseins ( zumal, wenn es um sein eigenes geht. Doch glücklicherweise zählt Rose Tremains Roman zu denjenigen, in denen es allen Figuren am Ende ein wenig besser geht als am Anfang, sogar den Bösewichten. Das ist nicht überraschend, hinterlässt aber ein Gefühl in der Magengegend wie eine Tasse heißer Schokolade mit Sahne.

Titelbild

Rose Tremain: Melodie der Stille.
Übersetzt aus dem Englischen von Elfie Deffner.
Carl Hanser Verlag, München 2000.
512 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3446199551

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch