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Carmen von Samsons ungewöhnliche Liebesgeschichte

Von Katrin HagedornRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katrin Hagedorn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Mann, Ehemann und Vater zweier Töchter, angesehen und von betuchtem Adel, pflegt diverse Beziehungen zu anderen Frauen. Das klingt wie eine Reportage aus "Gala": großes Foto, wenig Text und noch weniger Sinn. Aber nichts ist in der heutigen Zeit spannender als das authentische Leben aufregender Persönlichkeiten.

Carmen von Samsons "Invasion von Frauen" ist ein Buch über die Liebe, den Adel, die heile Welt einer Familie. Eine Geschichte über beängstigende Erinnerung und quälende Unwissenheit. Ihr Roman überfällt den Leser mit einer Vielzahl von Frauenbildern. Die Ich-Erzählerin verleitet dazu, den Inhalt des Buches sofort als wahre Geschichte zu lesen. Sie ist eine junge, allein stehende Frau, die versucht, ihr eigenes, leicht ungeordnetes Leben in den Griff zu bekommen. Als sie von ihrer Schwester das Geheimnis um den untreuen Vater erfährt, macht sie sich auf die Suche nach der Wahrheit, Wahrheit um jeden Preis. Das erhoffte Gespräch mit ihrer Mutter macht den Leser mit einer weiteren Frau in diesem Roman bekannt. Die Mutter, viele Jahre glücklich mit dem Vater ihrer Kinder, steht trotz aller Kränkungen hinter ihrem Mann. So scheint es - zumindest nach außen. Hat sie von seinen Eskapaden gewusst?

"Mir liegt sehr an dem Gespräch mit Dir, das wir vor drei Monaten vereinbarten", schreibt die Erzählerin ihrem Vater in einem Brief. Sie versucht, einen Teil der Vergangenheit, die auch die ihre gewesen ist, zu erfahren. Gleichzeitig entfernt sich die junge Frau mehr und mehr von ihrem eigenen Leben. Konflikte mit der Mitbewohnerin häufen sich, die Männerwelt wird uninteressant, fast unzugänglich. Sie versucht vergeblich, Freundschaft und Liebe in ihrem Leben zu vereinen: im Kampf um die Wahrheit verliert sie immer mehr den Boden unter den Füssen.

Die Autorin setzt ihre Geschichte aus vielen kleinen Mosaiksteinen zusammen, die, trotz ihrer Knappheit und trotz der zeitlichen Sprünge, ein kompaktes Bild geben. Mit viel Verve gelingt es Carmen von Samson, eine ungewöhnliche und abwechslungsreiche Geschichte zu erzählen. Und dennoch: die Frage, inwieweit die Geschichte autobiographisch ist, wird nicht beantwortet. Ist es gerade diese Interpretationsmöglichkeit, die das Buch so spannend macht?

Mitunter jedoch ist es eine Gratwanderung, die die junge Erzählerin unternimmt. Das direkte Zugehen auf ihren Vater, der ihrem Gespräch ausweicht, die Verurteilung der Mutter, die schweigend zu ihrem Mann hält und - im Gegensatz dazu - der Rückzug ins eigene Leben ohne elterliche Probleme sind riskant, wenn man sie als authentisch ausweist. "Meine Schwester sagt, sie hätte die ersten Seiten dieses Textes gelesen. Dann hätte sie ihn weglegen müssen.... Ich würde ihr gerne von der Fiktion der Autobiographie erzählen. Aber dazu ist jetzt keine Zeit."

In einem Interview leugnet Carmen von Samson die Nähe des Autobiographischen, sie sei aber nicht sicher, ob nicht in jedem Text, den man schreibe, ein großes Stück von einem selbst stecke: "So wichtig will mir das alles nicht mehr scheinen. Diese Geschichte ist schon jetzt meine. Sie gehört niemandem mehr als mir." Und sie gehört uns, wir können uns mit der Erzählerin in die Welt der Erinnerungen einer Tochter begeben, während wir gleichzeitig als Beobachter von außen die schlichte Schilderung Carmen von Samsons und ihrer Figuren genießen. Denn gerade der prägnante Stil und die spitzfindige Beobachtung des eigenen Lebens und das der anderen füllen die Seiten mit einem lesenswerten Stoff. Für die Leselust ist diese Frage auch unerheblich, denn es sind die abwechslungsreiche Prosa und der formale Aufbau des Romans, die ihn zu einem Leseereignis werden lassen. Bezeichnungen wie "Natürlich, realitätsnah, amüsant und sehr oft genau beobachtet" finden ihre Belege im Buch.

Titelbild

Carmen von Samson: Eine Invasion von Frauen. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
208 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 3596223997

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