Mauerschau am Rande der Lethargie

Johannes Jansens Erzählung "Verfeinerung der Einzelheiten"

Von Ron WinklerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ron Winkler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Querschnitt durch einen pathologischen Zustand: Der Kopf erscheint als Hohlraum. Das Schlachtfeld eines niedergelegten Krieges. "Keine Fronten mehr. Nur noch ineinander verschobene Flächen, auf denen Trümmer lagen. Die Trümmer waren nicht unwesentlich."

Johannes Jansens Erzählung "Verfeinerung der Einzelheiten" zeigt das Ich von Beginn an in Großaufnahme. Der Erzählraum ist die Reflexionskammer eines in Erschöpfung staunenden Denkens. Es sieht sich in Trümmern leben, inmitten einer Umwelt, die sich nur fragmentarisch mitteilt und die so unvollkommen wie chamäleonartig ist. Der Protagonist, im Gang durch die Verhältnisse, hat sich festgelaufen. Er ist Teil einer größeren Lähmung, einer implodierten Illusion.

Den, der da erzählt, drückt die trostlose Auffälligkeit unscheinbarer Tage und Leben. Deren Konsequenzen nicht die eigenen sind. Es gibt keine Zugehörigkeit, keine Fluchtlinien in diesem System. So läuft der Vereinzelte nicht Amok, sondern Koma. Um die Perspektive beraubt existentialistisch fragend: "Wohin mit der unklaren Gewißheit, nichts zu bedeuten"?

Im Blick liegt keine Rebellion, nicht die Dissidenz eines aus der Enttäuschung heraus zu äußerster Distanz entschlossenen Individuums. Im Blick liegt die Vergeblichkeit des Aufbegehrens. Das Ich ist von der Übergewalt der Erscheinungen des Umher befriedet wie diejenigen, die ihn umgeben. "Wir waren ganz gegen die Wirklichkeit konstruiert", heißt es mit ausgewählt umfassendem Fatalismus.

Die Wirklichkeit ist nicht greifbar - und wenn doch, dann nicht zu handhaben. Ein amorpher, amöber, amphibischer Körper. Ein zugleich ungesättigter und überladener Zustand zwischen Larvenstadium und Versteinerung. Jansen versucht den Zugriff im Detail, in den Einzelheiten, deren Verfeinerung.

Sein Monolog der Ernüchterung leuchtet Bruchteile von Bewegungen aus. Die oft Behelfsmomente sind, eingeübtes Verhalten, unsichere Gesten der Absicherung.

Die umfassenden Vergewisserungsstrecken dieser Prosa modellieren eine Gesellschaft im letzten Akt, einem langwierigen. Gestrandet wartet der Erzähler zwischen "Opfern der Normalität" auf Transzendenz, weil ihm alles seltsam ist, nichts bis zum Äußersten konsequent.

Die Existenz erscheint als joke bore, als trüber, zynischer Witz. Hier kann nicht Heimat sein, auch wenn Jansen einen solchen Ort "hinter den Dingen" vermutet. Die eigentlichen Werte sind verschlossen, "niedergedrückt von diesem nicht mehr zu interpretierenden Umfeld."

Der ursprüngliche Manuskripttitel "Vorhandensein" verwies noch stärker auf die erlebte Hüllenhaftigkeit des Seins. Man ist am Leben, nimmt wahr und existiert in und mit seinen biologischen und sozialen Komplexen. Aber es teilt sich keine Erhabenheit mit, die Utopien bleiben ohne Zugriff. Ein Zustand der Fesselung und Haltlosigkeit zugleich. Das Ich ist zwangsverstrickt in eine nicht näher zu benennende traumatische Situation. Es sieht sich annektiert von der allein in ihrer Fremdheit konstanten Außenwelt. Die Reflexion ist ein Behauptungsversuch des Inneren gegen die Prägungen von außen.

"Verfeinerung der Einzelheiten" ist kein Totengesang, aber der Text trägt Züge einer letzten Messe. Vorgetragen als Mauerschau am Rand von Wahnsinn und Lethargie. Die Sprache ist eine Prosa mit hochgeschlagenem Kragen. Ruhig, mit einem beeindruckenden Sensorium an Wahrnehmungsfähigkeit, aber nicht kraftlos. Es gibt Sätze, die wirken wie Apostrophe zu einem Desaster.

Jansen erzeugt einen Sog, von dem man spürt, dass er den Autor selbst betroffen hat und betrifft. Hier ist ein Schnitt in der eigenen Biografie skizziert. Das bis zuletzt Radikale ist aufgegeben. Aus Mangel an Alternativen erfolgt ein Arrangement mit der Welt. So redet sich der Suchende Schönheit herbei, von der er "zunehmend überzeugt war, daß sie nicht täuschte." Doch er bleibt ein Zweifelnder, gezeichnet von den Unsicherheiten des "wohl" und "vielleicht" und "womöglich".

Keine Hingabe führt aus dem martyrischen Leben, den Vergeblichkeiten seines gedanklichen Handelns. Er ist ein immer wieder auf die Anfänge zurückgeworfener Sisyphus, dem die Abgründe zulaufen in seiner "Sucht nach dem Fremdsein". Die Fatalität hat sich verselbstständigt.

Johannes Jansen entwickelt ein tiefgründiges Bild der Aufzehrung des Ichs durch eine defekte Realität, die es permanent mutieren lässt. Ins Ungewisse, das dem Überkommenem folgt. Ein Vorhandensein, das der ständigen Präzisierung bedarf.

Titelbild

Johannes Jansen: Verfeinerung der Einzelheiten. Erzählung.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
97 Seiten, 8,10 EUR.
ISBN-10: 3518122231

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