Im Zweifel für den Unbekannten

A. L. Kennedys Ballade "Gleissendes Glück"

Von Ulrich SonnenscheinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Sonnenschein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Dies ist der erste und letzte Versuch eines happy ends" sagte A. L. Kennedy über ihren Roman "Gleissendes Glück", als bedürfe es einer Entschuldigung. Dabei ist es gerade der Schluss, der Moment, in dem die Bewegung erstirbt und sich persönliches Glück in all seiner poetischen Trostlosigkeit offenbart, der gegen jeden Widerspruch erhaben ist. Und doch macht dieser Satz, der viel weniger entschuldigend gemeint ist als er klingt, eines klar: Wenn bei Alison Louise Kennedy von Glück die Rede ist, dann ist dies keine Einladung zum Wohlfühlen, sondern im höchsten Maße beunruhigend.

"Gleissendes Glück", im englischen Original etwas trockener "Original Bliss", ist ursprünglich als die titelgebende von elf Geschichten in einem Erzählungsband veröffentlicht worden. Doch der Verlag hat gut daran getan, sie aus dem Zusammenhang der anderen zu lösen. Denn nicht nur was den Umfang angeht ist "Gleissendes Glück" eher ein Roman. Die Geschichte setzt sich auch deshalb von den anderen ab, weil es hier um das alltäglichste aller Gefühle geht und die Worte, die A. L. Kennedy dafür findet, so wenig dem Klischee entsprechen, so wenig geschmeidig sind und doch genau treffen, was Liebe immer auch ist, die Suche nach sich selbst im Anderen.

Helen Brindle hat ihr Glück verloren. Die tägliche Zwiesprache mit Gott ließ sie bislang in ihrem Glauben die Zufriedenheit finden, die ihr ihr Mann schon lange verweigert. Da sieht sie im Fernsehen den Psychiater Dr. Edward Gluck, einen selbstgefälligen Ratgeber für die unvermeidbaren Misslichkeiten des Lebens, und sie verliebt sich in ihn. Sie reist ihm nach, gewinnt seine Aufmerksamkeit und für kurze Zeit hat es den Anschein, als entwickele sich eine leidenschaftliche, aber harmlose Romanze. Doch auch Edward ist eine getriebene Figur. Er leidet unter einer fanatischen Obsession für jede Art von Pornographie, die er paradoxerweise mit Helens Hilfe zu überwinden versucht. Doch nicht nur die individuellen Rollen werden immer wieder verkehrt, sondern auch Faszination und Ekel, Leid und Leidenschaft, Verbrechen und Strafe. Nach einer sexuellen Begegnung voller absurder Momente kehrt Helen zu ihrem Mann zurück, der sie dafür halb tot schlägt. Und erst dann, als wäre das antike Drama mit all seinen kathartischen Momenten eine Seifenoper, kommt es zwischen Helen und Edward zu einer Vereinigung, deren literarische Größe gerade darin besteht, dass sie von derart präzisen unpathetischen Worten aus dem Halbschatten der Schlafzimmer gezerrt wird.

A. L. Kennedy beschreibt die menschlichen Zustände mit einer nüchternen, trockenen Sprache, die ihr Distanz und tiefes Einfühlen gleichermaßen ermöglicht. Gelten ihre Texte im Allgemeinen als schwierig und leserunfreundlich, so ist "Gleissendes Glück" fast eine Ballade. Die Poesie ihrer Texte ist keine huldvolle, erhabene, sondern eine überaus natürliche. Das Schreiben, so sagte sie einmal, sei eine Notwendigkeit, fast so wie ein psychologisches Niesen. Sie nimmt sich der menschlichen Zwangslagen an und vermeidet dabei den falschen melodramatischen Ton. Ihre verstörten Charaktere müssen sich der Autopsie ihrer messerscharfen Sprache unterwerfen, ohne jedoch gerettet zu werden. Die intentionale Literatur einer George Elliot funktioniert für A. L. Kennedy ebenso wenig wie das rein Ich-bezogene Schreiben der neuen Subjektivität einer Jeanette Winterson. Dennoch wurde sie mit beiden verglichen, vielleicht, weil sie ihre Weiblichkeit hinter geschlechtslosen Initialen versteckte, vielleicht, weil auch sie an einem übergeordneten Sinn offen zweifelt. Doch A. L. Kennedy mag es nicht spektakulär. Die Identität sollte verschwinden. Ihre Persönlichkeit sei nicht interessant genug, dass sich damit ein Buch verkaufen lasse, sagte sie.

Doch bei aller Ablehnung des Privaten ist "Gleissendes Glück" ein sehr merkwürdiges, sehr privates Buch, das Intimität herstellt und erhält anstatt sie durch schonungslose Offenheit zu zerstören. Es ist hart zu seinen Figuren, hart zum Leser und gleichzeitig auf bestechende Weise schön. Schön in all seinem Schmerz. Es ist erstaunlich, dass in den letzten Jahren zahlreiche junge Autoren aus Schottland kamen, Irvine Welsh, James Kelman, Tony Davidson und A. L Kennedy, die bei aller Unterschiedlichkeit ein sehr konzentrierter Umgang mit dem Medium Sprache verbindet. Sie alle vertrauen nicht mehr allein auf den stillen einsamen Leseprozess, sondern inszenieren ihre Texte auf der Leinwand, der Bühne oder im Computer. Auch A. L. Kennedys Geschichten sind kleine Filme, Hörstücke, von der Autorin selbst gelesen, oder bilden eine eigene Welt, deren Virtualität eines ihrer vorrangigen Rätsel ist.

Titelbild

A. L. Kennedy: Gleissendes Glück.
Aus dem Englischen von Ingo Herzke.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2000.
192 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3803131510

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