Der fremde Freund

Rainer Baasner hat den Lebenslauf des Weihnachtsmanns recherchiert

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir alle kennen ihn und kennen ihn doch wieder nicht. Der Weihnachtsmann hat zweifellos seine Geheimnisse; ihnen spürt der Rostocker Literaturwissenschaftler Rainer Baasner in einem lesens- und verschenkenswerten, unterhaltsam geschriebenen und genau recherchierten Büchlein nach. Wie es sich für ein Buch zum Themenkreis Weihnachten gehört, finden sich darin zahlreiche Überraschungen. Oder wer hätte gewusst, dass "unser" Weihnachtsmann sich schamlos, um an Profil zu gewinnen, beim Heiligen Nikolaus, dem Knecht Ruprecht, dem Christkind und, je nach Land, bei anderen sagenhaften Gestalten bedient hat?

Den Geburtstag des Weihnachtsmanns hat Rainer Baasner nicht herausgefunden, eine Geburtsurkunde scheint es nicht zu geben. Dafür lässt sich feststellen, dass der Geschenkebringer seine Ausbildung im 19. Jahrhundert vollzogen hat. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es dann keine Diskussion mehr darüber, wie er aussieht und welche Eigenschaften ihm zuzuschreiben sind. In zahlreichen Bildern, Gedichten und Geschichten ist beides überliefert. Die "pädagogische Wendung" zur Zeit des erstarkenden Bürgertums brachte eine "Synthese von Großzügigkeit und Strenge" - aus dem Weihnachtsmann wurde der verlängerte Arm der elterlichen Autorität. Vom Nikolaus hat der Weihnachtsmann das Schenken und von Knecht Ruprecht das Strafen gelernt. Die Aufzeichnungen der Autoren sind in dieser Hinsicht aber nicht besonders eindeutig. Hoffmann von Fallersleben will den Nikolaus bei einer Tat beobachtet haben, die man ihm nicht zutrauen würde. Hoffmann hat sie in der "Geschichte von den schwarzen Buben" beschrieben: "Der Niklas wurde bös und wild, / Du siehst es hier auf diesem Bild! / Er packte gleich die Buben fest, / Beim Arm, beim Kopf, bei Rock und West, / [...] Er tunkte sie in Tinte tief, / Wie auch der Kaspar 'Feuer!' rief." Theodor Storm hingegen teilt die Vorurteile gegenüber dem übel beleumundeten "Knecht Ruprecht" nicht: "Von drauß' vom Walde komm ich her; / ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr! / [...] 'Hast Du denn das Säcklein auch bei Dir?' / Ich sprach: 'Das Säcklein, das ist hier; / denn Apfel, Nuß und Mandelkern / essen fromme Kinder gern.'"

Angesichts solch schwieriger Quellenlage konnte Vollständigkeit nicht erreicht werden, "Robert the Rednose Raindeer" und "The Grinch" von Dr. Seuss beispielsweise wird man vergebens suchen. Der Schwerpunkt liegt auf der deutschen Tradition. In einem eigenen Kapitel wird, das zeichnet die Studie weiter aus, die Indienstnahme des Weihnachtsmanns durch deutsche Faschisten und Kommunisten hervorgehoben. Es handelt sich hierbei um einen außerordentlich schön gestalteten Band. Neben literarischen Quelltexten finden sich zahlreiche Abbildungen, Holzschnitte, Litho- und Fotographien. Die Druckqualität ist hervorragend. Auch das Lektorat hat keine halben Sachen gemacht, so ist es dem Rezensenten nicht gelungen, nur einen einzigen Tippfehler zu finden; dabei kommt, selbst bei den großen Qualitätsverlagen, fast kein Band mehr ohne aus. Der feste rote Einband mit den gelben Innenseiten ist nicht nur sehr ansprechend, er ermöglicht es auch, wie früher auf Geschenkpapier zu verzichten und diesen Band unverpackt unter den Gabentisch 2001 zu legen. Wer kulturwissenschaftliche Interessen verfolgt, muss und sollte nicht bis dahin warten. Wie sein Gegenstand dürfte aber auch diese "Kleine Geschichte" im Sommer pausieren (vgl. das Kapitel "Der Weihnachtsmann im Sommer"!) und in der kalten Jahreszeit vermehrt den Weg in die Buchhandlungen finden.

Titelbild

Rainer Baasner: Kleine Geschichte des Weihnachtsmanns.
Nicolai Verlag, Berlin 1999.
95 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3875848616

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