Todesstrafe für die Männer! - Gnade für den Autor?

Arthur Schnitzlers infame Männerfiguren

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Psychoanalytikerin und Schriftstellerin Lou Andreas-Salomé bemerkte einmal gegenüber Arthur Schnitzler, "wie schlecht der Mann" in seinen Dichtungen wegkomme. - "Ich verurteile mich gewissermaßen zum Tode", verriet er, "um mich außerhalb des Stückes um so sicherer begnadigen zu können." Allerdings bekannte er das nicht Salomé, sondern - bezeichnenderweise - einem Geschlechtsgenossen, Otto Brahm. Auch bezog sich das Eingeständnis nur auf die Figur Alfred in dem Stück "Der Mörder". Doch kann man Schnitzlers Aussage mit Fug und Recht auf die meisten seiner Männerdarstellungen und die psychische Funktion, die ihnen für den Autor zukam, erweitern. Über Gustl ist das moralische Verdikt ebenso gefällt, wie etwa über Anatol oder den alternden Casanova - und Schnitzler als Autor stets exkulpiert. Zu diesem Ergebnis kommt Jenneke A. Oosterhoff in ihrer Untersuchung der "Konstruktionen der Männlichkeit in den Werken Arthur Schnitzlers", wenn sie bemerkt, dass Schnitzler in der Gestaltung etlicher dieser Figuren über sich selbst zu Gericht sitze.

Oosterhoff ist es gelungen, eine überzeugende Analyse der Männlichkeitskonstruktionen in Schnitzlers Werken vorzulegen, auch wenn man ihr nicht in jedem Detail zustimmen mag. So ist es etwa nicht die "Statik der Persönlichkeit", die Lieutnant Gustl so unsympathisch macht, sondern sein Charakter, oder vielmehr seine Charakterlosigkeit. Auch ist es nicht zutreffend, dass Marcolina sich nicht vor Casanovas Alter ekelt, sondern nur vor dem an ihr begangenen Verbrechen. Ihr Ekel gilt beidem, wie ihre Reaktionen auf frühere Annährungsversuche des gealterten Casanovas zeigen. Wem der Ekel mehr gilt, dem Alter oder dem Verbrechen, dürfte schwer auszumachen sein. Bedauerlich ist, dass Oosterhoff "Fräulein Else" unberücksichtigt lässt, dabei hätte es doch gerade interessant sein können zu sehen, wie Schnitzler Männlichkeit gespiegelt in der Wahrnehmung einer Frau konstruiert.

Schnitzlers Texte werden von der Autorin nicht nur werkimmanent interpretiert, sondern in engem Zusammenhang mit seiner Biographie und unter Berücksichtigung der soziokulturellen Zustände im Wien des Fin de Siècle. Zwar versteht es sich durchaus nicht "fast von selbst", dass die Produkte der "schriftstellerischen Phantasie" im Allgemeinen "stark autobiographisch gefärbt" seien, wie die Autorin behauptet. Doch gelingt es ihr im Falle Schnitzlers anhand von Briefen, den Tagebuchaufzeichnungen und der Autobiographie, die psychische Nähe des Literaten zu seinen männlichen Protagonisten insbesondere auf sexuellem Gebiet nachzuweisen. Zu Recht weist Oosterhoff etwa darauf hin, dass das "verwendete Vokabular" deutlich macht, dass Schnitzlers Liebe ebenso "besitzerisch und verdinglichend" ist wie die seiner männlichen Protagonisten.

Die Studie gliedert sich in vier Abschnitte. Zunächst untersucht Oosterhoff Schnitzlers Darstellung junger unverheirateter Männer mit ihrer "Besitz- und Eifersucht". Im zweiten Kapitel wendet sie sich der Frage zu, wie Schnitzlers Männer sich ihrer Männlichkeit vergewissern, diesem folgt ein Abschnitt über Männlichkeitskonstruktionen verheirateter Männer. Beschlossen wird die Untersuchung mit einem Kapitel über "Lebensgreise und Sterbejünglinge".

Von zentraler Bedeutung ist der zweite Teil, in dem die Autorin zeigt, das Schnitzlers Männlichkeitskonstruktionen in einem Milieu männlicher Konkurrenz stattfinden und zu Lasten der Frauen gehen. Was Schnitzlers männliche Protagonisten zusammenbringt, so die Autorin, sei der Wille, die Männlichkeit der eigenen Identität an derjenigen anderer Männer zu messen. In Anlehnung an einen Begriff Eve Kosofski-Sedgwicks, nennt die Autorin dieses rein männliche Milieu ein "homosoziales Kontinuum". Frauen werden bewusst oder unbewusst ausgeschlossen. Dennoch haben sie eine nicht zu unterschätzende Funktion. Zwar gibt es sie nicht um ihrer selbst willen, doch kommt ihnen die außerhalb des homosozialen Kontinuums gelegene "instrumentale Rolle" als Objekt zu, um das konkurriert wird, "als Geschenk, als Gesprächsthema, als Kulisse oder als Trumpf". Stets dienen sie sowohl dazu, die "Bande" zwischen den männlichen Figuren noch enger zu knüpfen, als auch "die patriarchalische Ordnung aufrechtzuerhalten". Bezeichnend sei, dass Frauen in "Ehrensachen" nie Subjekt sein könnten. Die Frau selbst habe in Schnitzlers Werken keine Ehre, die sie verlieren könne. Wohl aber sei es ihr möglich, als 'gefallenes Mädchen', die der Familie zerstören oder als Geliebte die des Ehemanns.

Die anderen drei Kapitel folgen den Lebensabschnitten des Mannes: als Junggeselle, Ehemann, alternder Mann. Ausgesprochene Greise kommen bei Schnitzler kaum vor. Die Autorin parallelisiert nicht ganz zu Unrecht die Lebensalter Schnitzlers und die Lebensabschnitte seiner Protagonisten. "Besitzsucht, Eifersucht und Egoismus", so Oosterhoff, beherrschen in Schnitzlers Werken die Sexualleben junger Männer. Hierfür hat der Schriftsteller selbst den Ausdruck "Junggesellenegoismus" geprägt. In ihrer Zerrissenheit zwischen den Anforderungen der durch die Väter repräsentierten Gesellschaft auf der einen Seite und der "auf Ichkultivierung und Genusssucht bezogenen Haltung" auf der anderen stellten Schnitzlers junge Männer den "impressionistischen Menschentypus" dar, der in Anatol "par excellence" auftrete. Denn für ihn gebe es "keine objektiven, von Stimmungen und Empfindungen unabhängigen Wahrheiten". Daher falle es ihm leicht, zu Lüge und Betrug zu greifen. Das Liebesleben junger Liebhaber sei bei Schnitzler durch "Anonymität und Gleichgültigkeit" geprägt, ihre nahezu einzige Emotion sei Eifersucht zu Beginn einer Affäre, die gegen deren Ende in Langeweile umschlage.

Die Frauen, Glieder einer "Kette von flüchtigen Beziehungen", seien nichts weiter als Lust- und Prestigeobjekte, Spielbälle männlicher Konkurrenz. Daher fürchteten sich die Männer nicht etwa vor dem anderen Geschlecht, auch kaum vor der weiblichen Sexualität. Zwar gelte es sie zu bändigen, aber die eigentliche Angst der Männer bestehe darin, "sich vor anderen Männern zu blamieren". Bei aller Angst vor den Geschlechtsgenossen geht es ihnen jedoch nicht nur um die eigene "Integrität", sondern, in einer Art "identifizierender Solidarisierung" auch um die des Gegenspielers, wie die Autorin etwa anhand des Stückes "Der Ruf des Lebens" nachweist, in dem es dem "jungen Liebhaber" auch um die Ehre des betrogenen älteren Ehemanns zu tun ist.

Oosterhoff zieht als Belege für Schnitzlers Konstruktionen der Männlichkeit jüngerer Männer vorwiegend seine Werke aus dem 19. Jahrhundert heran. Vor 1900 sei sein Verhältnis zur "Frauenfrage" deutlich von der "herrschenden frauenfeindlichen Ideologie" und ihrer misogynen Sexualmoral geprägt gewesen. Dies spiegele sich in seinen Männerporträts wieder, in denen auch nach der Jahrhundertwende "kein wirklicher Bruch mit dieser Sexualmoral" festzustellen sei. Dieser Befund steht allerdings in einem gewissen Spannungsverhältnis zu dem von Oosterhoff festgestellten tiefen Einschnitt, den die 1903 mit Olga Gussmann geschlossene Ehe für Schnitzler bedeutete. Sowohl "im Leben als auch im Schreiben" Schnitzlers habe sie, stellt die Autorin mit einigem Recht fest, einen "wichtigen Wendepunkt" markiert.

Nun treten in seinen Stücken auch Ehemänner auf, die nicht nur "für weibliche Sexualität und Sinnlichkeit Verständnis zeigen", sondern ihren Gattinnen sogar "eine gewisse sexuelle Freiheit" zugestehen. Doch das 'Verständnis', dass einige der verheirateten Männer in Schnitzlers späteren Werken für die sexuellen Bedürfnisse ihrer Gattinnen zeigen, reduziert sich darauf, dass sie schon mal "ein Auge zudrücken", wenn ihre Frauen ein erotisches Abenteuer wagen. Oosterhoff vermag darin zu Recht "keineswegs eine positive Umorientierung" zu erkennen. Noch weniger sei es als positive Bewusstseinsveränderung zu werten, wenn Schnitzlers Protagonisten ihre Gattinnen vorsätzlich zur Treulosigkeit treiben, um sich mit einem eigenen Seitensprung oder einer Geliebten revanchieren zu können. Was die Ehe betreffe, besteht bei Schnitzler also kein werkgeschichtlicher Bruch. Die Frauen sind weiterhin nichts als ein "Bindeglied" zwischen den männlichen Figuren, wie Oosterhoff anhand von Hofreiter und Mauer in "Das weite Land" zeigt. Ob sich die Männer "feindlich gesonnen" sind oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

"Ganz gleichgültig", fasst die Autorin zusammen, "wie scharf und tiefgreifend" die Differenzen zwischen Schnitzlers männlichen Protagonisten auch sind, stets würden sie sich gegen das andere Geschlecht solidarisieren - und das gelte für das gesamte Werk Schnitzlers. Das scheint zunächst nicht so recht überzeugend zu sein, denkt man etwa an die verschiedenen, sich wegen Frauen duellierender Männer wie Casanova und Lorenzi. Doch lassen sich gerade an ihnen alle tragenden Thesen der Autorin belegen: für beide Männer ist Marcolina nur Objekt und indem Lorenzi sie verrät, verbünden sie sich gegen sie. Während des Duells ist sie nicht einmal mehr Objekt. Hier geht es nicht mehr um den Besitz der Frau, sondern nur noch um verletzte 'Mannesehre' - im Falle dieses Duells mit einer eindeutig homoerotischen Komponente.


Titelbild

Jenneke A. Oosterhoff: Die Männer sind infam, solang sie Männer sind. Konstruktionen der Männlichkeit in den Werken Arthur Schnitzlers.
Stauffenburg Verlag, Tübingen 2000.
212 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3860571532

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