Die Liebe als Ende des Paradieses

Rosemarie Poiarkovs Prosa-Debüt

Von Manuel BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Wiener Philosophiestudentin, Mitte zwanzig, die ihre Tage und Nächte mit Kaffee trinken, rauchen, Alkoholgenuss, Sex, Discobesuchen und Gesprächen verbringt, will uns von der Liebe erzählen - das verspricht zumindest der Untertitel "Liebesgeschichten" von Rosemarie Poiarkovs Erzählband "Eine CD lang". Dies ist allerdings zum Scheitern verurteilt, denn die Erzählerin, auf die die obige Beschreibung passt und die den meisten der Erzählungen als Kontinuität stiftendes Element innewohnt, verkündet gleich zu Beginn der titelgebenden Erzählung: "Ich möchte eine Liebesgeschichte erzählen, aber es gibt keine Geschichten mehr über die Liebe".

Hör sich das einer an! Da kommt eine junge Autorin daher und verkündet uns das Ende der Liebesgeschichten. Und obwohl sie das sagt, versucht sie trotzdem von Menschen zu erzählen, die lieben oder anderweitig verwirrt sind - und teilweise tut sie das sogar hervorragend.

Rosemarie Poiarkov, Jahrgang 1974, erzählt von ihren Beziehungen, Ängsten, neurotischen Gedanken und von der Großstadt. Dies alles ist nicht wirklich neu, zugegeben. Doch der Ton, in dem es vorgetragen wird, ist erfrischend und könnte noch für ein breiteres Aufhorchen sorgen. Der Leser erlebt eine junge Autorin auf der Suche nach ihrem Stil und ihren Möglichkeiten. Auch hier kommt nichts bahnbrechend Neues zustande. Die dargebotene Vielseitigkeit und der Wagemut, der auch einige weniger gute Erzählungen verzeihlich macht, legen nahe, dass Rosemarie Poiarkov durchaus ein hoffnungsvolles Talent ist.

Durch die geschickte Verwendung verschiedener Tempi findet sie für unterschiedliche Stimmungen den jeweils passenden Ton. Während die erste Erzählung mit dem programmatischen Titel "Junges Wien" ein furios-hektisches Tempo an den Tag legt und mit den Assoziationen der Erzählerin ein Lebensgefühl der Wiener Mittzwanziger eindrücklich entwickelt, sind andere Erzählungen eher in einem getragenen Ton dargeboten. Dabei beschleicht den Leser gelegentlich der Verdacht, dass auf den letzten Seiten nichts von Belang mitgeteilt wurde, was aber merkwürdigerweise nicht störend wirkt und das Interesse am Text selten sinken lässt.

In der Tat sind es oft keine "echten" Geschichten, die erzählt werden, vielmehr lässt die Erzählerin den Leser an ihren schweifenden Gedankengängen teilhaben. Diese Überlegungen kreisen um Mode, Kino, Alter, Tod, Philosophie, Selbstmord, Sex und nicht zuletzt auch um Liebe. Insofern hat der Untertitel seine Berechtigung. Wer allerdings auf klassische Boy-meets-girl-Episoden oder auch auf Schilderungen schmachtenden Wartens vor dem Telefon, prickelnde Erzählungen vom ersten Rendezvous und romantischen Nächten im Himmelbett wartet, wird enttäuscht. Vielmehr lesen sich die Geschichten teilweise wie Gegenentwürfe zu herkömmlichen Liebesgeschichten, fast wie eine Absage an die Liebe überhaupt, wenn etwa die Liebe als ein Zustand geschildert wird, durch den sich die Menschen aus dem Paradies vertreiben.

Die Figuren scheinen stets auf der Suche nach einem ihnen bislang noch unbekannten Ort, an dem "es nicht zu laut und nicht zu leise ist". Ähnlich dürfte sich auch die Autorin fühlen, die noch ihren Platz im Geflecht der literarischen Möglichkeiten sucht, die sie auszuschöpfen gewillt ist.

Rosemarie Poiarkov ist unverkennbar in der Gegenwart des dritten Jahrtausends verwurzelt und ruft durch die damit verbundene moderne und zeitgemäße Sprache meist Kurzweil hervor, ohne dabei trivial zu werden. Der dem Wohlgefallen förderliche Tiefgang ist durch die entlarvende Schilderung aktueller Phänomene und menschlicher Verhaltensweisen gewährleistet. Da sich Poiarkov oft des Rückblicks als Kontrast zur Gegenwartsbesinnung bedient, wird eine allzu monotone Berücksichtigung des Jetzt verhindert.

Ihre stärksten Momente hat Poiarkov, wenn sie ihrer Ich-Erzählerin das Wort erteilt und den Leser an deren Wirrungen und Emotionen teilhaben lässt. Wenn sie sich dagegen in einen männlichen Helden hineindenkt, wird das Ganze etwas fade; denn sie beschränkt sich dann auf eine Aufzählung von Handlungen und Geschehnissen. Das bietet zwar auch ein gutes Bild der Veränderung der Charaktere, wirkt aber bei weitem nicht so ansprechend wie die direkt mitgeteilten Empfindungen der stets gleichen Ich-Erzählerin.

Zwischen einigen hervorragenden Erzählungen finden sich auch eher durchschnittliche, die man Rosemarie Poiarkov nachsehen sollte, gilt es doch eine neue literarische Stimme zu vernehmen, die etwas sagt, das in jedem Falle aufhorchen lässt, auch wenn der Zuhörer einiges noch für nicht besonders wohlklingend hält.

Titelbild

Rosemarie Poiarkov: Eine CD lang. Liebesgeschichten.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001.
191 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3552049975

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