Schuldbekenntnis

Arthur Koestlers Roman "Sonnenfinsternis" stellt die Frage nach politischer Moral

Von Katharina IskandarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Iskandar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich habe gedacht und gehandelt, wie ich mußte. Wenn ich recht behalte, habe ich nichts zu bereuen. Wenn ich unrecht habe, werde ich bezahlen." Worte des ehemaligen Volkskommissars Rubaschow, der einst der russischen Revolution diente und nun des Verrats angeklagt ist. Ein Mann, der nach vierzig Jahren Parteizugehörigkeit reflektiert, was es heißt, Individuen zu opfern zugunsten der Gemeinschaft. Und der bis zu seinem Todesurteil im Gefängnis sitzt und eines Tages erkennen muss: Ich habe recht behalten, doch ich muss trotzdem bezahlen.

Arthur Koestlers Roman "Sonnenfinsternis" thematisiert eine dunkle Epoche russischer Geschichte. Vor dem Hintergrund der politischen Säuberungswelle, die von 1936 bis 1938 durchgeführt wurde, beschreibt er das Schicksal des ehemaligen Volkskommissars Nicolas Salmanowitsch Rubaschow, der nach einer steilen Karriere die KPdSU-Führungsriege erklommen hatte, plötzlich aber von den eigenen Leuten verhaftet wird. Die Anklage: Konterrevolutionäres Verhalten, oppositionelle Neigungen, verschwörerische Machenschaften gegen die Partei. Nach tagelangen psychologisch grausamen Verhören unterschreibt Rubaschow schließlich ein Geständnis - obwohl er die Anklagepunkte hätte widerlegen können.

Es ist in erster Linie die Frage nach menschlicher Moral, die Koestler in "Sonnenfinsternis" aufgreift. Geschickt stellt er die revolutionäre Ideologie dem stalinistischen Staatsapparat gegenüber und lässt seinen Protagonisten in der äußerst beklemmenden Umgebung der kalten Gefängnismauern reflektieren, ob seine Partei die Ideologie überhaupt noch verkörpert. Seine nüchterne, fast schon resignierende Sprache vermittelt dabei jenes alltägliche Grauen, das zur Zeit der Säuberungswelle in den russischen Gefängnissen geherrscht hat. "Die Bewegung kannte keine Rücksichten, unbeirrbar wälzte sie sich ihrem Ziele zu und lagerte die Leichen der Ertrunkenen an den Krümmungen ab, so verlangte es ihr Gesetz. [...] Die Gründe des einzelnen interessierte sie nicht. Die Moral des einzelnen interessierte sie nicht [...] Sie kannte nur ein Verbrechen: vom Kurs abzuweichen, und nur eine Strafe: den Tod."

In Erinnerungen lässt Koestler seinen Protagonisten immer wieder an Stationen seiner Karriere zurückkehren. Stationen, an denen Rubaschow glaubte, dem Wohle der Partei zu dienen, jedoch Menschen dabei rücksichtslos zu Opfern werden ließ. Es ist eine Schuld, der sich der ehemalige Volkskommissar nach dreißig Jahren bewusst wird, und die schließlich dazu führt, dass er sich im öffentlichen Prozess schuldig bekennt: Schuldig wegen seiner Unmoral.

"Es war ein Fehler im System; vielleicht lag er in dem Satz, den er bisher für unwiderlegbar gehalten hatte, in dessen Namen er andere geopfert hatte und selbst geopfert wurde: in dem Satz, daß der Zweck die Mittel heiligt."

"Sonnenfinsternis" ist bereits im Jahre 1940 unter dem Originaltitel "Darkness at Noon" erschienen und gilt heute als das bekannteste Werk des in Budapest geborenen Schriftstellers, der im Jahre 1931 in die Kommunistische Partei eingetreten ist, sie bereits nach fünf Jahren jedoch wieder verlassen hat - nicht zuletzt aufgrund der ethisch nicht vertretbaren Säuberungsprozesse. So zeugt der Roman von grausamer Realität: Schritt für Schritt enthüllt Koestler Funktionen des streng organisierten Parteiapparates und gewährt Einblick in ein System, das erst nach der "Entstalinisierung" weitestgehend entschlüsselt wurde. Während sich die Kommunisten durch "Sonnenfinsternis" provoziert fühlten, nutzte die politische Rechte den Roman für Propaganda gegen den Kommunismus.

Koestlers Roman ist auch nach dem Zerfall der Sowjetunion ein wichtiges historisches und politisches Zeugnis. Er zeigt Einblicke in die Instrumentalisierung des Individuums durch das stalinistische Regime und lässt eine vage Ahnung entstehen, was es damals hieß, sich einer totalitären Ideologie unterwerfen zu müssen - in einer Zeit, in der viele Menschen ohne Partei keine Existenz hatten. Es ist eine Ahnung, die wie eine Sonnenfinsternis ihren dunklen, langen Schatten wirft: Einen Schatten auf das Verständnis von Moral in einem ganz und gar unmoralischen System.

Titelbild

Arthur Koestler: Sonnenfinsternis. Roman.
Rückübersetzt aus dem Englischen von Arthur Koestler.
Europa Verlag, Hamburg 2000.
272 Seiten, 17,60 EUR.
ISBN-10: 3203791501

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