Dean liebt's französisch

James Salters Blicke auf die Oberfläche der Gefühle

Von Robert HabeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Robert Habeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dean und Annie tun es. Sie tun es in allen Lebens- und Liebeslagen und auf alle nur erdenklich beschreibbaren Weisen. Chronist ihres Beischlafs ist in James Salters Roman "Ein Spiel und ein Zeitvertreib" der anonym bleibende Freund Deans, dessen biographische Daten sich aber ungefähr mit denen des Autors decken. Salters alter ego ist Fotograf. Mit melancholischem und von Sehnsucht verklärtem Blick porträtiert er das Kleinstadtleben Autuns, dessen reale geographische Koordinaten zwischen Dijon und Lyon liegen, dessen imaginäre es aber zum Inbegriff allen irdischen Glücks machen. "Geliebte Stadt. Ich sehe sie in jedem Wetter, das Sonnenlicht fällt in ihre Straßen wie Bruchstücke aus Porzellan, die stillen Abende, der Viadukt blau im Regen." Und während so die Stadtansichten auf Zelluloid gebannt werden, um auf ewig dem Gedächtnis des Erzählers eine Stütze zu sein, macht sich Dean an Annie ran. Nach dem ersten Viertel des Buches schläft er das erste Mal mit ihr. Und danach tut er nichts anderes mehr. "Er spürt, wie er in sie eindringt. Ihr letzter Atemzug - es ist fast ein Seufzen - entströmt ihr. Ihre weiße Kehle erscheint. Als es vorüber ist, schläft sie ohne ein Wort ein. Dean liegt neben ihr. Das wahre Frankreich, denkt er. Das wahre Frankreich."

Allein die Eifersucht, die in dem Erzähler erwacht, und über die er sich mit der Niederschrift des Buches Rechenschaft ablegen will, begreift man nicht, wenn man sie allein auf den sexuellen Erfolg Deans bezieht. Sie erwacht, weil Dean durch den Sex mit Annie das vermeintlich authentischere Stück Frankreichs zu fassen bekommen hat. Diesem Wunsch nach Wahrem, Echtem, Erdigem und Altem, nach Europa, sind Dean wie der Erzähler gleichermaßen verfallen. In einem erzählerischen Bravourstück verleiht Salter seinem Erzähler auktoriale Kraft. Er ist immer dabei, wenn Dean und Annie sich lieben. Und er beschreibt die Details ihrer Liebe mit der ihm eigenen fotografischen Akribie.

Salters Sprache (und ihr deutsches Echo von Beatrice Howeg) ist dabei so kraftvoll und ausdauernd wie die "mörderische" Manneskraft Deans. Kaskadengleich rauschen die mit Naturmetaphern gespickten und von Farb- und Geruchsnuancen strotzenden Vergleiche Satz um Satz, Seite um Seite auf eine herrlich einlullende und das Aura aller Klischees, die Frankreich anhaften, frisch verströmende und betörende Art vorbei. Daß sich in diesen Rausch Wiederholungen einschleichen, daß "Haut", "Tage" und das "Licht" "wie trocknes Papier sind", der Regen immer mal wieder "wie Schrot" niedergeht oder sich die verschiedensten Zustände "wie alte Zeitungen" anfühlen, überliest man gerne. Denn Salters Lakonie breitet sich wie ein Schleier über die geschilderten Szenen und man will nur all zu gern darunter schauen, erkennen, was das Geheimnis dieser Sprache ist, den Reiz der Erotik erkennen, die die Worte umkreisen. Aber Salter gestattet diesen Blick nicht. Er bleibt an der Oberfläche. Das Eigentliche bleibt ungesagt, tiefe Gefühle gibt es nur als Negation, Melancholie, Verlust. Die Männer des Buches befinden sich mit ihren Wünschen "im Zentrum der Leere". Frankreich und seine Frauen sind das Symbol eines unstillbaren Verlangens - auch eines sprachlichen.

Die Oberflächlichkeit ist auch das Signum der Beziehung Deans zu Annie, der sie nach Jahresfrist aufgibt, nach Amerika zurück fliegt und - voraussehbar - bei einem Autounfall stirbt. So bewahrt sein Tod ihm den Nimbus des Narziß, muß er sich nicht dem Leben stellen, kann der Erzähler ihn zum Helden eines Mythos machen. So amerikanisch diese Weltsicht sein mag, sie hat dem Amerikaner Salter zu einem französischen Roman verholfen. Und das ist, wenn man seinen Figuren glauben darf, das höchste der Gefühle.

Titelbild

James Salter: Ein Spiel und ein Zeitvertreib. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 1998.
216 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3827000963

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