Alles über den Dichter der Mark Brandenburg

Christian Grawe und Helmuth Nürnberger geben ein Fontane-Handbuch heraus

Von Melanie OttenbreitRSS-Newsfeed neuer Artikel von Melanie Ottenbreit

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Endlich ist auch Theodor Fontane als Handbuch zu haben. Im gewohnt praktischen, gewohnt kundigen Format des Alfred Kröner Verlags liegt nun ein Nachschlagewerk vor mit biografischen, poetologischen und entstehungsgeschichtlichen Untersuchungen zu Werk und Wirkung des Poeten und Journalisten aus Neuruppin.

Was durch Helmut Koopmanns Handbücher zu Thomas Mann und Friedrich Schiller längst zum Standard gehört, haben die bekannten Fontane-Experten Christian Grawe und Helmuth Nürnberger nun auch für ihren Dichter erstellt: ein übersichtliches, aber nicht minder gehaltvolles Lexikon zum raschen Nachschlagen der wichtigsten Romane, Erzählungen und Gedichte und zur weiterführenden Literatur.

Vergeblich erwartet hatte man das Kompendium bereits zum 100. Todestag Theodor Fontanes im Jahre 1998, zu dem viele Verlage ihren "alten" Fontane bloß neu in Szene setzten. Die beiden Herausgeber haben sich hingegen Zeit gelassen mit ihrer Novität, um von 22 älteren und jüngeren Forschern aus sieben Ländern Aufsätze zu erbitten, sei es zur Dramentheorie, zu den Balladen oder zum Verhältnis Fontanes zu Bismarck und Preußentum. Charlotte Jolles hat die Tagebücher zusammengefasst, Helmuth Nürnberger das autobiografische Werk wie "Meine Kinderjahre" oder der unbekanntere Aufsatz "Mein Erstling: ,Das Schlachtfeld von Groß-Beeren'", der Fontanes erste Schreibversuche bezeugt. Manfred Jurgensen gibt, nach Empfänger- und Themengruppen sortiert, einen Überblick zu Fontanes Briefwerk, darunter den erst 1998 herausgegebenen "Ehebriefwechsel" mit seiner Frau Emilie.

Auf über eintausend Seiten ist Christian Grawe und Helmuth Nürnberger eine Gesamtschau von Werk und Leben Theodor Fontanes gelungen, der ein einschlägiger Platz in der Forschungsliteratur sicher ist. Ob des verspäteten Erscheinens haben Herausgeber und Autoren sogar noch die zum Gedenkjahr reichlich erschienene Fontaneliteratur ins Handbuch mit einbezogen, dessen Bibliografie somit aktueller nicht sein könnte. So konnte auch Norbert Mecklenburgs wegweisende Studie über Fontanes "Romankunst der Vielstimmigkeit" von 1999 berücksichtigt werden.

Auch Randaspekte des schriftstellerischen Schaffens erfasst das Lexikon gründlich, darunter die Rolle des Journalisten Fontane als Kunstrezensent, der von zwei Italienreisen nachhaltige Kunsterlebnisse mitbrachte. Kritisch setzte sich der Realist etwa mit den Gemälden des britischen Impressionisten William Turner auseinander, an denen er sich genauso rieb wie an "naturalistischen Übertreibungen" in der bildenden Kunst.

Neben dem echten Dichter der Mark Brandenburg geistert auch eine literarische Kopie durch das Handbuch, die "Reinkarnation Theodor Fontanes" in Gestalt des Fontane-Kenners Theo Wuttke, genannt Fonty, aus dem umstrittenen Wenderoman "Ein weites Feld" von Günter Grass. Fonty, sei er nun als Romanfigur gelungen oder nicht, beweist einmal mehr die Modernität des Fontane'schen Dichtwerks und seiner Stoffe, die auch über hundert Jahre nach dem Tod des Autors in der Gunst einer breiten Leserschaft stehen.

Selbst die audiovisuellen Adaptionen der Romane Fontanes als Hörspiele und Verfilmungen wurden für das Handbuch analysiert, zu denen künftig eine Reihe von Fontane-Hörbüchern hinzukommen dürfte. "Effi Briest", vergleichsweise spät für Kino und Fernsehen entdeckt, wurde zur Paraderolle einer ganzen Reihe deutscher Schauspielgrößen in Ost und West: Angefangen mit Marianne Hoppe im noch bühnennahen "Der Schritt vom Wege" von 1938/39 in Regie von Gustaf Gründgens, taten sich in den 70er und 80er Jahren im Osten Deutschlands Angelika Domröse bei der DEFA und im Westen Hanna Schygulla in der Fassbinder-Adaption als Film-Effis hervor. Bis heute prägen sie durch zahllose Fernseh-Wiederholungen das Bild der empfindsamen Ehebrecherin. Einziges Manko dieser Übersicht ist die fehlende chronologische Auflistung der einzelnen Fontane-Verfilmungen, die zwar im Text zeitlich sortiert sind, im Anhang aber nicht mehr bibliografisch erfasst wurden.

Doch dieser Einwand ist kleinlich. "Ein weites Feld" hatten Herausgeber und Autoren wahrlich zu bestellen - Fontane als Dichter, als Kritiker und Zeitzeuge, als Reisender, Ehemann und politischer Journalist. Überreich ist ihre Ernte für den Leser ausgefallen.

Titelbild

Helmuth Nürnberger / Christian Grawe: Fontane Handbuch.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2000.
920 Seiten, 40,90 EUR.
ISBN-10: 3520832011

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