Ein träumender Torwart

Zu Thomas Urbans Nabokov-Biographie "Blaue Abende in Berlin"

Von Anne HahnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne Hahn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich war weniger Hüter eines Fußballtores als Hüter eines Geheimnisses. Während ich mich mit verschränkten Armen an den linken Torpfosten lehnte, genoß ich den Luxus, meine Augen zu schließen, und so lauschte ich dem Pochen meines Herzens, fühlte den blinden Nieselregen auf meinem Gesicht..." So verträumt wie frotzelnd beschreibt ein älter gewordener Nabokov seinen sportlichen Einsatz im russischen Fußballverein Berlins. "Die Rolle des Torwart ließ ihm Zeit, gedanklich in eine andere Welt zu flüchten", interpretiert Thomas Urban dagegen diese Zeilen bierernst. Nicht nur von diesem Satz Urbans kann einem schwindelig werden.

Pünktlich zum hundertsten Geburtstag Vladimir Nabokovs stellt der Slawist und Übersetzer Thomas Urban seine Sicht auf die fünfzehn Berliner Jahre des russischen Schriftstellers vor. Urban versucht alles, was mit Berlin und den schreibenden Emigranten zu tun haben könnte, in seine rund 200 Seiten dicke Biographie hineinzustopfen. Es gibt ein wenig Oktoberrevolution, ein wenig Sport, Klubgeist und Politik, ein wenig Emigrantenalltag und Berliner Topographie - und wenig zu Nabokovs Berliner Romanen.

Die russischen Ereignisse von 1917 fasst Urban flott zusammen; "Abdankung des Zaren, politisches Chaos, Machtergreifung der Bolschewiken. Die große Krise überschattet Vladimir Nabokovs geliebte Heimat, wo er die paradiesischen Jahre seiner Jugend verbrachte..." Die Familie verließ das geliebte Land und landete in Berlin, wo es sich zunächst ganz prächtig leben ließ.

Die russischen Emigranten profitierten Anfang der zwanziger Jahre von Deutschlands wirtschaftlichem Desaster. 1923 existierten allein 86 russische Verlage und Buchhandlungen sowie 39 regelmäßig erscheinende Zeitungen in Berlin. Die russischen Schriftsteller aalten sich in diesem erfreulichen Zustand. Dichter, Musen und Spione tummelten sich in den Cafes und Emigrantenvereinen rund um den Nollendorfplatz. Doch nach rund zwei Jahren Saus und Braus war's denn auch schon wieder vorbei mit der pekuniären Freiheit. 1923 brach die Emigrantenkolonie in Berlin durch die Einführung der Rentenmark und Moskaus Verzicht auf Reparationszahlungen auseinander.

Und jetzt tritt unser Dichter in Erscheinung, der leider noch zu jung war, "um in der literarischen Szene einen Namen zu haben". Urban durchpflügt die Jahre 1922-1937, in denen Nabokov in Berlin lebte, liebte und sich fortpflanzte, pedantisch nach seinen Spuren. Allein 32 Seiten sind der Aufzählung aller Adressen Nabokovs gewidmet. Abriss, Zerstörung und Umbauten der von ihm bewohnten Häuser sind vermerkt, eine Schmetterlingshandlung ist im "Nabokovstadtplan" eingezeichnet und die im Roman "Die Gabe" beschriebene Bedürfnisanstalt ist auf einem Foto zu bewundern. Das ist zwar fleißig recherchiert, aber diese schwerverdaulichen Aufzählungen zeugen von Urbans Eifer, das Berlinthema aufzublasen. Nabokov wohnte in Berlin, weil es so schön nah an der Heimat lag, - quasi in der Warteschleife. Ansonsten interessierte er sich kaum für Berlin und die Deutschen. In seinen Romanen dient ihm die Stadt als unscharfe Kulisse, nur in "König, Dame, Bube" sind die Dargestellten deutsch. Urban beschwert sich bei einem der wenigen auf Berlin bezogenen Gedichte Nabokovs, es würden keine Eindrücke von der Stadt "als Ensemble von Gebäuden und Straßen" widergespiegelt, sondern Stimmungen des Autors - was man ja von Dichtern gemeinhin erwartet.

Hinter manchen hasserfüllten Äußerungen Nabokovs über Berlin und die Deutschen erspäht Urban "eine Art Liebeserklärung". Den Titel seiner Biographie entnahm er einer Rückschau Nabokovs auf die Berliner Zeit; "Blaue Abende in Berlin, der blühende Kastanienbaum an der Ecke, Verwirrungen, Armut, Liebe, und eine geradezu schmerzende Sehnsucht nach dem noch frischen Geruch Rußlands." Um selbst nicht in Armut leben zu müssen, boxte der Dichter, entwarf Kreuzworträtsel und unterrichtete Englisch und Tennis. Danach schrieb er bis in die Nacht Gedichte und Prosa. Es blieb keine Zeit, über Politik nachzudenken.

Als homme de politique (Urban) kann Nabokov keinesfalls gelten. Weshalb er mit seiner jüdischen Frau Deutschland nicht schon 1933 verlassen hat, begründet Nabokov später: "Wir waren immer träge... Wir haben uns an einen Platz gewöhnt und sind einfach geblieben." Den Faschismus nahm Nabokov nur am Rande wahr, es waren wirtschaftliche Gründe, die letztlich den Ausschlag zur Auswanderung gaben. Über das Sowjetsystem äußerte er sich Zeit seines Lebens "ausschließlich hämisch". Nabokov hatte nur Verachtung über für das "von Lenin geschaffene bestialische Regime", das er mit der menschenverachtenden Politik des Nationalsozialismus gleichsetzte. Von wegen - homme de politique - Nabokovs Verhältnis zur Politik ist von blindwütigen Verallgemeinerungen gekennzeichnet.

Nabokov-Kenner wird diese Biographie langweilen. Wer es doch wagt, wird schwer daran zu knabbern haben.

Titelbild

Thomas Urban: Vladimir Nabokov. Blaue Abende in Berlin.
Propyläen Verlag (Ullstein), Berlin 1999.
248 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3549057776

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch