Nicht nur ein Raum für sich selbst

Konstruktionen von "gender" in Geschichte, Literatur und Alltag

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"A Room of One's Own", forderte Virginia Woolf bereits Anfang des letzten Jahrhunderts. Doch ging es auch ihr damals schon um weit mehr als um ein bloßes Refugium für Frauen. Vielmehr zeigte sie auf, in welchem Maße Räumlichkeiten und Räume menschliche Entfaltungsmöglichkeiten bestimmen, indem sie sie ermöglichen, einschränken oder gar unterbinden. Woolf beschreibt, wie etwa das Fehlen eines Arbeitsraumes weibliche Kreativität beschneidet. Mit dem geschlechtsspezifischen Verbot, bestimmte Räumlichkeiten zu betreten, musste Virginia Woolf 1928 persönliche Bekanntschaft machen, als ihr der Zutritt zu einer College-Bibliothek verweigert wurde, da sie sich nicht in männlicher Begleitung befand. Für eine schreibende Frau sei "ganz klar", sagt sie, nicht zufällig eine räumliche Metapher benutzend, "dass der geist ständig seinen brennpunkt wechselt und die welt in verschiedene perspektiven bringt", was alleine im eingeschränkten Gesichtsfeld einer Küche kaum gelingen dürfte.

Woolfs Einsichten gelten natürlich nicht nur für das nachviktorianische England. Sie hat vielmehr ein Thema vorgeprägt, das an Aktualität nichts verloren hat und das KulturwissenschaftlerInnen in den letzten Jahren verstärkt aufgegriffen haben. So wurde vor wenigen Jahren etwa die geschlechtsspezifische Aneignung von kulturellen Räumen im Rahmen der dreibändigen Reihe "Frauenräume" ausführlich erörtert und im Oktober 1998 verhandelten ExpertInnen auf einer Tagung des "Arbeitskreis Interdisziplinäre Genderforschung an der Technischen Universität Chemnitz" den Zusammenhang von Räumen mit der Geschlechterordnung. Margarethe Hubrath hat nun unter dem Titel "Geschlechter-Räume" einen Sammelband herausgegeben, der eine Zusammenstellung von Beiträgen dieser Tagung präsentiert. Vorrangiges Kriterium der Auswahl war, das Thema "möglichst breit und vielschichtig" zu erörtern. Obwohl sich unter den 19 Beiträgen gleich zwei - allerdings verschieden gelagerte - zum Thema Hysterie befinden, ist das Vorhaben in einem Maße gelungen, das es wohl keinem Rezensenten und keiner Rezensentin gestatten dürfte, eine größere Anzahl der Aufsätze auch nur einigermaßen kompetent zu besprechen: Nicole Zeddies etwa geht der "räumlichen Trennung zwischen Klerikern und Frauen in der Spätantike und im frühen Mittelalter" nach, Dieter A. Berger untersucht "aristokratische Geschlechterräume in der englischen Restaurationskomödie", Patricia Plummer widmet sich "Gender, Raum und Subversion im Kinderbuch" und Monika Wehrheim-Peuker der "Feminisierung Amerikas" als kolonialem Raum, während Christine Weiseke den Beruf von Architektinnen und Planerinnen aus soziologischer Sicht beleuchtet.

Dass, wie die Herausgeberin in der Einleitung behauptet, "zwangsläufig auch der Machtaspekt ins Blickfeld" gerät, wenn man "die Analyse von Räumen mit der Geschlechterfrage" verknüpft, bestätigen die meisten der Beiträge nachdrücklich. Natürlich werden nicht alle Theoreme und Ergebnisse mit ungeteilter Zustimmung rechnen dürfen. So mag man Christina Schues nicht unbedingt auf ihrem Parforceritt durch Platons Höhle folgen, den sie im Gefolge von Luce Irigaray und Adriana Cavarero unternimmt, mit deren Hilfe und dem "weiblichen Blick" sie die Höhle als "Gebärmutterhöhle" dekonstruiert. Dass Schues der Nachweis gelungen sei, "dass die Konstruktion der zu durchschreitenden Erkenntnisräume mit einer völligen Aneignung und Vereinnahmung des weiblichen Gebärvorgangs" einhergehe, wie Hubrath meint, vermag man so nicht nachzuvollziehen.

Weit überzeugender fällt hingegen Martina Mittags Untersuchung zu "Weiblichkeit und Virtualität" aus. Unter Rückgriff auf Rosi Braidottis Begriff "Nomadismus", der einen "grenzüberschreitenden Akt" meint, der "auf epistemologischer, (geschlechts)politischer oder allgemein-kultureller Ebene" stattfinde, der sich dabei seiner "Situiertheit" bewusst sei und auf einen "kreativen Prozess der Neudefinition" verweise, macht Mittag deutlich, wie sich die "fundamentalen Dichotomien der Neuzeit" und das von ihnen geprägte Geschlechterverhältnis in den Virtualitäten der neuen Medien und deren fiktionaler Weiterentwicklung fortsetzen. Zur Illustration zieht die Autorin Marge Piercys utopische Dystopie "Er, Sie und Es" heran, die mit dem Zusammenhang von Virtualität und Geschlechterverhältnis virtuos spielt. Anders als der von männlichen Autoren verfasste Cyberpunk verweise Piercys Roman dabei auf die enge Verbindung zwischen Körper und Geist. Gegen deren Utopie als "Kompensationsraum der Zeichen des Mangels" stehe bei Piercy die "Eröffnung lebbarer Möglichkeiten durch die Uneindeutigkeit des Geschlechts", wie sie den Theorien von Donna Haraway und Judith Butler entspreche. Doch ungeachtet des gender-swappings in Piercys Fiktionen und in der 'tatsächlichen virtuellen Realität', dem Cyberspace, werde in beiden deutlich, wie sich - ausgehend von den realen Machtstrukturen - "traditionelle Geschlechterrollen reproduzieren". Somit könne vom Cyberspace als einer "Welt beyond gender" kaum die Rede sein. Vielmehr bleibe bei Piercy ebenso wie im realexistierenden Cyberspace - anders als in "radikal postfeministischen Entwürfen" - ein "Bewusstsein weiblicher Geschichte" bestehen, das als Basis für "kollektive Aneignungs- und Partizipationsstrategien" in einem "maskulin geprägten Umfeld" dienen könne. Es sei diese "nomadische Aneignung männlicher Räume", die neue "Subjektkonfigurationen" ermögliche. Nicht die "Dämonisierung neuer Technologien", sondern deren subversive Mitgestaltung durch Frauen könne von Männern gestaltete Räume neu definieren. Geschlecht sei auch hier eine der zentralen Kategorien der Identifikation des Anderen. Piercy entwerfe keine "autonome und statische" Identität, wie es in den "monadischen Subjektentwürfen der Neuzeit" üblich sei, sondern verstehe Identität als "kontextuelle und dynamische Einheit", die durchaus Paradoxien aufweisen könne. Obwohl Nomadismus keine "vereinheitlichenden Konzepte" wie "global sisterhood" zulasse, so resümiert Mittag, bleibe feministische Politik dennoch zentral, und zwar "in zeitlich befristeten Koalitionen und lokaler Verantwortung". Gerade hier biete das Netz eine vielfältige Möglichkeiten.

Ebenfalls hervorzuheben ist Christine Künzels Untersuchung "zum Verhältnis von Raum, Geschlecht und Gewalt in Vergewaltigungsfällen". Künzel weist die "räumliche Codierung" der Vergewaltigung auf, die sich aus der "Kombination einer Verortung der Geschlechter zu einer räumlichen Zuschreibung von Gewalt" ergebe. Hierzu unternimmt sie einen historischen Abriss von Ovids antikem Lob der Vergewaltigung, bis hin zur gegenwärtigen Strafrechtsreform, durch die erstmals die Vergewaltigung in der Ehe strafbar wurde. Mit dieser Reform scheint zwar das "Kriterium des Tatorts" an Bedeutung zu verlieren, so Künzel, doch sei es in der Rechtsprechung immer noch relevant, "ob sich eine Vergewaltigung in einem Schlafzimmer oder auf offener Straße abspielt".


Titelbild

Margarete Hubrath (Hg.): Geschlechter-Räume. Konstruktionen von "gender" in Geschichte, Literatur und Alltag.
Böhlau Verlag, Köln, Wien, Weimar 2001.
290 Seiten, 35,70 EUR.
ISBN-10: 3412102997

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