Fast wie im richtigen Leben

Petra Morsbachs "Opernroman"

Von Melanie WitteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Melanie Witte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Theater Neustadt: ein B-Haus, das heißt Provinz, kaum von Bedeutung. Hier ist der Hund begraben, könnte man meinen, und sich dann von Petra Morsbach eines Besseren belehren lassen. Ihr Opernroman führt uns hinter die Kulissen der Bühnenwelt und eröffnet ungeahnte Einblicke, die selbst dem regelmäßigen Theaterbesucher normalerweise verwehrt bleiben. Wir lernen sie alle kennen: Sänger und Musiker, Regisseure und Dirigenten, Repetitoren und Assistenten, Techniker, Requisiteure usw.; Sterne und Sternschnuppen, schillernde Persönlichkeiten und Durchschnittsmenschen. Sie alle haben eine Geschichte, und Petra Morsbach, selbst jahrelang als Dramaturgin und Regisseurin an verschiedenen Bühnen tätig, erzählt sie uns. Da gibt es Menschen, die ihr Leben der Kunst opfern, und solche, die die Kunst ihrem Ehrgeiz opfern. Talentierte Glückskinder, denen der Erfolg in den Schoß fällt, und hart arbeitende Idealisten, denen die hohen Gefilde der Kunst mitunter dennoch verschlossen bleiben. Und wer Pech hat, verliert von einem Tag auf den anderen alles: seine Stimme, seine Anstellung, seine Hoffnung auf die Kunst. Kaum irgendwo liegen Erfolg und Mißerfolg so nah beieinander wie hier. "Das Leben ist wie eine Lawine - immer rauf und runter", so steht es auf einem Grabstein, und keiner hat verstanden, wieso rauf.

Im Vordergrund, aber nicht im Mittelpunkt, stehen die Regieassistentin Babs und der Korrepetitor Jan. Sie begleiten uns durch diese fremde und doch auch wieder sehr vertraute Welt. Babs macht sich so ihre Gedanken, z.B. über Regisseure, das musikalische Talent der anderen oder über die "gewöhnliche Theaterlüge". Jan, schwul, HIV-positiv, ein guter Musiker eigentlich, wird eines Tages einfach entlassen. So ist das in der Kunst und im Leben.

Der Roman präsentiert sich als kunterbunte "Short Cuts"-Variante, eine große Wundertüte voller Überraschungen. Die zahllosen kleinen Kapitel fügen sich zu fünf großen zusammen, entsprechend fünf Inszenierungen des Musiktheaters, in deren Entwicklung wir von den ersten Proben an Einsicht erhalten. Arbeit, Liebe, Alltag - so die Alternativtitel der zentralen Kapitel - sind die Themenkomplexe, die den gesamten Roman durchziehen, in immer neuen Variationen wieder aufgenommen werden, wie in einer musikalischen Komposition.

Wegen des umfangreichen Personals wird das zuweilen schon etwas unübersichtlich. Da werden Erzählstränge abgebrochen und erst viel später wieder aufgenommen, und dazwischen schieben sich wieder etliche neue Figuren, Tragödien und Komödien, so daß man leicht den Überblick verliert. Aber macht nichts, die meisten Figuren tauchen sowieso nie wieder auf, sie haben ihre Gastrolle zu Ende gespielt und sind gleich wieder abgereist.

Auf die Dauer ebenfalls strapaziös, jedenfalls für Nicht-Musikkenner, sind die vielen ausführlichen Beschreibungen rein musikalischer Phänomene. Es ist schon erstaunlich, wie differenziert sich akustische Ereignisse in sprachlicher Form beschreiben lassen, nur hat man eben nicht die passenden Vorstellungen parat, um sich dabei auch was zu denken. Für Kenner klassischer Musik und insbesondere Opernliebhaber dürfte der Roman hingegen eine ganz neue Form von musikalischem Genuß bieten, gewissermaßen virtuell.

Aber unterhaltsam ist das Buch allemal, dabei erfrischend locker geschrieben, ohne jemals schnodderig zu werden. Die Autorin beschreibt Tragödien ohne jede Sentimentalität, ja beinahe distanziert, und dennoch läßt einen das ganz und gar nicht kalt. Und selbst in der tiefsten Komödie behalten die Figuren immer ihre Würde. "Oh, ich war Primadonna zwanzig Jahre lang." Die Schwiegermutter ist dick, hüftkrank und stark geschminkt, aber die einstige Glorie haftet an ihrer Seele wie die Wimperntusche an den plötzlich erglühten Schläfen. Eine Fülle von geradezu haarsträubenden Anekdoten sorgt für ausreichende Betätigung der Lachmuskeln, gerade weil der Humor so schön trocken ist. "Die Bäume beginnen sich zu verfärben. Vögel. Einer von ihnen singt falsch."

Titelbild

Petra Morsbach: Opernroman.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
348 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3821844760

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch