Seelenzwänge und Sarkasmen

Louis Begleys stilvoller Roman „Schmidt“

Von Volker Maria NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Maria Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Albert Schmidt, ehemals Staranwalt in einer New Yorker Kanzlei, Frühpensionär und Witwer, führt rührende und verzweifelte Selbstbehauptungskämpfe. Seine einzige Tochter eröffnet ihm, sie wolle Jon, einen Zögling Schmidts aus der Anwaltskanzlei, heiraten. Schmidt, von allen teils zärtlich teils nachlässig „Schmidtie“ genannt, sollte Grund zur Freude haben; Jon ist aufstrebender Sozius mit der Option auf eine solide Juristenkarriere, verkehrt in den Kreisen der New Yorker Upper Class und liebt Charlotte, Schmidts Tochter. Doch Schmidtie hat Vorbehalte, die er nicht recht zu artikulieren weiß. Insgeheim nennt Schmidt seinen künftigen Schwiegersohn einen „bornierten Streber“ und „beschnittenen Gockel“. Jon ist Jude. Und Charlotte kokettiert schon mit einer Konversion – für Schmidt eine persönliche Beleidigung. Da er seinen latenten Antisemitismus nicht rechtfertigen kann, verfällt er auf Sticheleien und gemeine Sarkasmen. Beim Überspielen seiner Hilflosigkeit in der Rolle des leberwurstigen Vaters und beim alltäglichen Kampf um Anerkennung, hilft seinem wankenden Selbstbild ein Dauerflirt mit einer zwanzigjährigen puertorikanischen Kellnerin. Mit dieser hofft Schmidtie, aus seinen heulverkrampften Seelenzwängen in einen dritten oder vierten Frühling zu entkommen.

Louis Begley, Anwalt des gewählten Wortes, verwöhnt auch in „Schmidt“ seine weiter wachsende Leserschaft mit stilistischer Eleganz, mit einer fast vornehmen Sprache, die sich der Etikette verpflichtet fühlt und keine Entgleisung gestattet. Dabei scheint sein Thema wenig aristokratisch; Schmidt, nichts als Schmidt. Die Lebenskrise eines verknöcherten Rentners, dem die Welt ins Anonyme zu entrücken droht. Doch durch ein gekonntes Jonglieren mit stilistischen Mitteln, wie dem Wechsel der Perspektiven ohne Brüche im Erzählfluß, gelingt es Begley, seinen Protagonisten ins Fragwürdige und damit ins Interessante zu setzen: Schmidt als amerikanischer Ekel-Albert oder als liebenswürdiger Opi, etwas trottelig, aber mit dem geballten Charme der Reife? Der Roman ist im Grunde nichts anderes als das konsequente Verschweigen einer Antwort auf eben diese Frage. Und also darf und muß der Leser selbst ehrgeizig seine Sympathiefähigkeiten erproben, mehr noch: er muß die Antwort geben, die Begley ihm gekonnt vorenthält, er muß sich seinen eigenen Schmidtie erfinden. So beweist Begley mit „Schmidt“ aufs neue, daß Konsum sehr wohl ein produktiver Akt sein kann, wenn es sich um den Konsum Begleyscher Literatur handelt.

Titelbild

Louis Begley: Schmidt. Roman. Aus dem Amerikanischen von Christa Krüger.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
320 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 3518395009

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