Der Unerbittliche im Prisma

Das Begleitbuch zur Sendereihe "jetzt: max frisch"

Von Julia-Charlotte BrauchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia-Charlotte Brauch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im April 2001 haben 3sat, der Südwestrundfunk, Radio Bremen und das Schweizer Radio zum zehnten Todestag des Autors eine opulente Max-Frisch-Retrospektive gesendet. Zu sehen und hören waren Lesungen, Gespräche, Feuilletons, Hörspiele, Portraits, Theateraufführungen und Verfilmungen der Werke Frischs sowie die ungewohnt intimen "Gespräche im Alter", die Philippe Pilliod mit dem Schriftsteller in Berzona führte. Die Sendereihe brachte nicht nur Frischs Texte zum Sprechen, sondern auch den Autor selbst in seinen unterschiedlichen Schaffensepochen.

Das besondere Verdienst dieser breit angelegten Reihe war es, Frischs Werk vor dem Hintergrund der Entstehungszeit zu präsentieren. Zudem wurde die Person Frischs in ihren zahlreichen Facetten dargestellt, als Architekt, Schriftsteller, Bürger der Schweiz, als Sohn, Ehemann, Liebhaber, Kollege und Freund, und letztlich als unerbittlicher Selbstkritiker. Der durch die Kanonisierung der Dramen und Romane Frischs in den Lehrplänen leider oft stark eingeengte Blickwinkel wurde hier wieder zu einem breiten Spektrum, aus dem heraus sich die beachtliche Rezeption des Autors und dessen persönlicher Werdegang erst erklären lassen. Das einzige Manko der Reihe war die schier erschlagende Fülle von Beiträgen, die sich zeitlich teils sogar überschnitten. Der Zuschauer war mit der Masse des Angebots schlicht überfordert.

Das Begleitbuch zu "jetzt: max frisch", das freilich auch ohne Kenntnis der Radio- und Fernsehsendungen gelesen werden kann, bietet nun die Gelegenheit, eine breite Perspektive auf Leben, Werk und Wirken Max Frischs zu gewinnen und die Vielzahl der Themen nochmals im Stillen Revue passieren zu lassen. Das Buch ist illustriert mit vielen Fotos, urkomischen Karikaturen des Autors, mit alten Film- und Theaterplakaten, Abdrucken originaler Briefe von, an und über Frisch, Skripten und Titelblättern der Erstausgaben. Bereits damit vermittelt es einen Hauch Zeitkolorit.

Darüber hinaus versammelt das Buch ebenso kurze wie kurzweilige Texte von und über Frisch, die die Werke aus unterschiedlichen Richtungen beleuchten. Ganz besondere Schmankerln sind Frischs eigene Beiträge für die Programmhefte der Uraufführungen am Schauspielhaus Zürich, weil hier der Blick noch nicht durch die teils überwältigende Wirkungsgeschichte mancher Dramen wie "Don Juan" oder "Biedermann" verstellt ist. So erhält der Leser die Chance, die ursprüngliche Intention Frischs hinter der dicken Patina von Sekundärtexten (wieder-)zuerkennen. Die Texte über Frisch reichen von spontanen Zuschauer- und Leserkommentaren über Zeitungsartikel und Briefe von Freunden und Kritikern Frischs (z. B. Bert Brecht, Peter Suhrkamp) bis hin zu Interviews und Portraits von Literaturwissenschaftlern und Schriftstellern unserer Tage (z. B. Peter von Matt, Martin Walser, Mario Vargas Llosa).

In einem Gespräch über seine Freundschaft mit Max Frisch wirft Peter Bichsel ein schmunzeln machendes Licht auf die Eigenarten des Autors. So tat sich Frisch schwer im persönlichen Umgang mit Schriftsteller-Freunden, die seinem Ich zu nahe kamen. Dennoch nahm er sich die nötige Zeit für Gespräche und ärgerte sich bei einem Telefongespräch mit Bichsel heftig über Uwe Johnson, der tatsächlich morgens um halb elf noch zu schlafen wagte, anstatt mit ihm über drängende Dichterfragen zu disputieren. Bichsel zollt seinem Mentor Frisch Tribut für eine fruchtbare Freundschaft, die zwischen zwei Schriftstellergenerationen vermittelte und den Jüngeren immer wieder zum Schreiben ermutigte.

Max Frisch wird in diesem Buch also gewiss nicht nur als der Dramatiker und Romancier dargestellt, als der "Autor der Identitätsfage", als welchen ihn einige Schulbücher leider vereinfachend abstempeln. Die Retrospektive "jetzt: max frisch" erlaubt Einblicke in den politischen und kulturgeschichtlichen Kontext, der den unermüdlich hart arbeitenden Autor in seinem Wirken beeinflusste. Darüber hinaus stellt das Buch auch in Rechnung, mit welch großem Engagement Frisch sich um die Fragen der Zeit kümmerte, ja manche überhaupt erst zu stellen wagte. Gerade der Blick auf Frischs enorme Zivilcourage hebt die Aktualität des Autors hervor, die das Buch schon in seinem Titel betont.

Frischs wegweisendem Einfluss auf die Hörfunkgeschichte des Nachkriegsdeutschland und seinem eher schwierigen Verhältnis zum Film sind in dieser Retrospektive jeweils ein ganzes Kapitel gewidmet, ergänzt durch die erste, sorgfältig recherchierte Radio-, Film- und Videographie, die Hörspiele, Rundfunkadaptionen, Verfilmungen und Features bis in die 40er Jahre zurück sorgfältig dokumentiert.

Titelbild

Luis Bolliger / Walter Obschlager / Julian Schütt (Hg.): jetzt: max frisch. Ein Lese- und Bilderbuch. Mit Texten von Max Frisch.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
349 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3518397346

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