Kampf an allen Fronten

Joseph von Westphalen setzt seine Selbstinszenierung fort

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Postsendung des Eichborn-Verlags kam Ende letzten Jahres. Im Umschlag das neue Buch von Joseph von Westphalen sowie fünf eng bedruckte Seiten mit einer "privaten Pressemitteilung an die Damen und Herren des deutschen Feuilletons". Seine Bücher, beklagte sich Westphalen, würden von den deutschen Zeitungen nicht mehr zur Kenntnis genommen. Von unbeweglichen "Feuilleton-Schlachtschiffen" war die Rede, zwischen den Zeile blitzte der Vorwurf der Dünkelhaftigkeit auf.

Warum die Presse Westphalen zur Unperson stempelt? Im Begleitschreiben ringt der Autor nach Erklärungen. Liegt es womöglich daran, dass er als "Deadline-Junkie" den Abgabeterminen für seine Manuskripte buchstäblich hinterherschreibt, so dass es den Verlagen unmöglich ist, noch die Werbetrommel zu rühren? Mag sein. Auch "So sind wir nicht!" wurde mit einem Affenzahn geschrieben, und vielleicht macht gerade diese Tatsache Westphalen den Damen und Herren Redakteuren so verdächtig. Gute Literatur, so lautet ein gängiges produktionsästhetisches Apriori, braucht vor allem Zeit. Sie will recherchiert, niedergeschrieben und umgeschrieben sein. Sie will abhängen wie ein guter Schinken und wieder und wieder durchgekaut sein wie Eskimoleder. Nur langsam und unter größter gedanklicher Anstrengung reift das Manuskript zum Buch.

Bei Westphalen liest sich das anders: "Gestern gelang es mir nicht mehr, das Datum zu übersehen: der 1. August. Da wurde mir doch etwas mulmig. Am 15. muss das Manuskript meines neuen Buchs beim Verlag sein." Ich gebe es gerne zu, dass mich solche Sätze heiter stimmen. Aber - das Lächeln wird schmaler - sie spiegeln wohl auch ein gutes Stück moderner Schreib- und Lesegewohnheiten wider. Schon in der Verlagssatire "Warum mir das Jahr 2000 am Arsch vorbeigeht" (1999) verabschiedet Westphalen die Ehrfurcht erbietende Vorstellung vom Dichter als literarisches Schwergewicht und Ehrenmann zugunsten eines Bildes, das den Literaturproduzenten als intellektuellen Leichtfuß, als Lohnschreiber und schnellen Brüter erscheinen lässt. Der eigentliche Kern einer Schriftstellerexistenz, so erfahren wir hier, sind nicht Werte und Ideale, nein, das ist die Welt der Verlagsverträge und Garantievorschüsse, der Honorare und Verkaufszahlen.

Auch das neue Buch ist in dieser verrückten Weise selbstreferenziell, es kreist inhaltlich vor allem um die Geschichte seiner Entstehung und schreibt sich damit gewissermaßen wie von selbst. Überspitzt formuliert stellt es das Hermann Burger-Rezept der "allmählichen Verfertigung der Idee beim Schreiben" auf den Kopf, verwandelt es in die rasante Verfertigung von Büchern durch Nichtstun. Zwar sind manche Passagen des neuen Buchs stilsicher durchgeschrieben, zum Nachbessern des einmal Verfassten aber sei einfach keine Zeit. Das stimmt so natürlich auch nicht ganz, trifft aber exakt den Eindruck, den Westphalen seiner Leserschaft vermitteln will.

Denn natürlich kommt in den Auskünften zur Zeitverknappung auch ein sorgfältig inszeniertes Selbstbild zum Ausdruck. Ich erinnere mich an einen Anfang 2000 im "Spiegel" erschienenen Artikel über Zeitmanagement. Top-Manager gaben darüber Auskunft, wie sie mit der knappen Ressource haushalten. Ein Foto zeigte Westphalen in seinem Arbeitszimmer. Zeitungen, lose Blätter und Faxausdrucke stapelten sich übereinander und bedeckten fast den ganzen Fußboden. Auf einem Stapel Papier ruhte ein brauner Herrenschuh. Wüstes Durcheinander auch auf dem Schreibtisch. Mittendrin kauerte der Autor auf einem dreibeinigen Klappstuhl, die Feder über dem Notizblock gezückt, das Telefon in Griffnähe. Und ganz offensichtlich unter Termindruck.

Entscheidend ist bei solchen Bildern nicht unbedingt, ob sie der Realität entsprechen, sondern was sie beim Leser bewirken und wie sie seine Lektüre vorstrukturieren. Es geht hier also gar nicht um die Frage, ob und wie sich Leben und Werk trennen lassen, sondern weshalb sie immer stärker als Einheit wahrgenommen werden.

Ein sicheres Indiz für die skizzierte Verflechtung von empirischem und konkretem Autor und die hierdurch in Gang gesetzte multimediale Selbstvermarktung findet sich in einer Reihe von nach Art des Merchandising auf den Markt geworfenen Artikeln. Allem voran die CD-ROM "Mein Kosmos" (1996), deren Entstehungsgeschichte in "Die Liebeskopie" (1997) gleich noch einmal zweitverwertet wird. Auf dem Silberling klopft man dem Autor sozusagen mit der Maus auf die Schulter. Sämtliche Schriften, Biografie, und sogar die bekannten Obsessionen Westphalens, alles ist elektronisch abrufbar. Diverse Schnappschüsse zeigen Westphalen als Firmling, Motorradfahrer, Studenten, Liebhaber, freien Schriftsteller, Familienvater. Kein Geheimnis bleibt unentdeckt - bis zur Arztrechnung über die beiderseitige Vasatomie. Führte der Weg zu Leben und Werk eines Autors einst über das Hindernis beschwerlicher und zeitraubender Recherchen, so ist er in Westphalens Fall zur Rolltreppe geworden.

Dazu scheint zu passen, dass der Graf in seinen Büchern allzu offenherzig von seinen fürstlichen Einkünften berichtet: hier achtzigtausend Mark Garantievorschuss für einen noch nicht geschriebenen Roman, dort eine mit fünftausend Mark dotierte Rede vor "Playboy"-Mitarbeitern, gefolgt von zwei lukrativen Verträgen mit Bertelsmann und einer Aussicht auf die laufende Produktion. Nicht ganz unerheblich scheint in diesem Zusammenhang die Feststellung zu sein, dass Westphalen keine Leser um sich schart, sondern Fans. Der Autor nennt eine treue Stammleserschaft sein eigen. Westphalen-Leser bewegen sich in einer in sich geschlossenen Welt, in die eintreten darf, wer zwischen Initiation und Indiskretion keinen Unterschied mehr macht. Für die Fortsetzung der Medienpromiskuität mit anderen, mit allen Mitteln sorgen seit neuestem auch zwei CD-Ausgaben.

Mit den unter dem Titel "Wie man mit Jazz die Herzen der Frauen erobert" versammelten Perlen der Jazzgeschichte von 1923 - 1949, vom New Orleans Jazz bis zum frühen Bebop, entführt Westphalen den Hörer in den musikalischen Kosmos seines Romanhelden Harry Duckwitz. Es handelt es sich hier ausnahmslos um Musik, die Duckwitz im Verlauf der Romantrilogie ("Im diplomatischen Dienst", 1991; "Das schöne Leben", 1993; "Die bösen Frauen"1996) hört, zusammengestellt unter dem Gesichtspunkt ihrer erotischen Verwertbarkeit. Man(n) liest schließlich gerne ein Buch, in dem der Held ein toller Hecht ist, der von einer Affäre in die nächste stolpert.

Noch schöner ist es freilich, wenn diese Romanwelt plötzlich in die Realität hinüberschwappt, sich weiterer Sinne bemächtigt und interaktiv wird: "Käufer! Hast Du im Ernst geglaubt, man könne mit Jazz-Stücken Frauen erobern? Man kann! Dies ist also keine Mogelpackung." Ganz nebenbei entsteht so "der weltweit erste Roman-Soundtrack". Im opulenten Booklet erfährt man nicht nur etwas über die aufgespielten Jazzstücke, sondern findet auch noch die parallelen Romanstellen abgedruckt, ergänzt durch angeblich "unveröffentlichte", in Wirklichkeit aber einfach hinzufabulierte Passagen. Die letzte CD enthält vom Autor selbst mehr schlecht als recht rezitierte Romanauszüge. So ein Amalgamum wirkt natürlich in viele Richtungen: Es verführt den Hörer, sich in die Romane zu vertiefen, die Leser, die CDs zu erwerben und alle zusammen, Westphalen und seinem weibstollen Helden (noch) ein wenig näher zu kommen.

Als ob es damit noch nicht genug wäre, hat der Münchener Autor jetzt noch einmal nachgelegt und eine weitere Jazz-Edition zusammengestellt. Da sein Protagonist Duckwitz das Saxophon angeblich besonders schätzt, sind auf der Dreingabe für Nimmersatte neben den Giganten Coleman Hawkins, Ben Webster, Lester Young und Don Byas auch untergegangene Künstler wie Julian Dash oder Pete Brown zu hören, oder erst später bekannt gewordene wie Ike Quebek oder Gene Ammons. Auch hier sind die fehlenden Romanstellen hinzuimprovisiert, nichts Neues im Duckwitz-Universum also. Ach ja, auch über einen vermehrten Buch-Absatz im Anschluss an die Vorgänger-CD wird berichtet. Nur den Abdruck der Original-Quittung über die Autorentantiemen (auf Heller und Pfennig, bitteschön!) enthält Westphalen uns unerklärlicherweise vor.

Nur zieht Selbstentblößung in den bekannten Rezeptionsmustern aber kein Desinteresse nach sich, sondern aktiviert die Loyalität der Duckwitz-, pardon, Westphalen-Fans zu ihrem ,Autor'. Denn schließlich, das haben sie oft genug lesen können, muss der Mann von irgend etwas leben. Und in der Tat setzt Westphalen alles daran, dass er sich seinen gekühlten Weißwein auch weiterhin wird leisten können. Derzeit schreibt er an drei Romanen gleichzeitig: "Der Liebessalat", "Dichtung und Wahnsinn", "Die Memoiren meiner Frauen".

Titelbild

Joseph von Westphalen: Mehr Jazz! sagten die Frauen. 2 Audio-CDs.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2000.
20,30 EUR.
ISBN-10: 390654737X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Joseph von Westphalen: So sind wir nicht! Elf deutsche Eiertänze.
Eichborn Verlag, Frankfurt 2000.
174 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3821805730

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