"Ab-itur", "A-bi-tur" oder "Abi-tur"?

Das neue "Deutsche Universalwörterbuch" des Dudenverlags und die Reifeprüfung

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den Eigenheiten unseres Wirtschaftssystems gehört der Zwang zur Beschleunigung. Immer kürzer werden die Produktzyklen. Der erfolgreichste Weg für ein Unternehmen, das Ergebnis vom Vorjahr zu übertreffen, besteht darin, bereits im nächsten Jahr eine neue ("aktualisierte", "verbesserte") Version des Erfolgsproduktes auf den Markt zu werfen.

Eine Tendenz, die sich auch auf dem Wörterbuchmarkt durchsetzt. Das "Deutsche Universalwörterbuch" aus dem Dudenverlag, nach eigenen Angaben das "umfassendste einbändige Bedeutungswörterbuch der deutschen Gegenwartssprache", ist nun in der 4. Auflage erschienen: Lagen zwischen der 2. und der 3. Auflage noch sieben Jahre, sind es zwischen der 3. und der 4. nur fünf.

Was wurde verbessert, was verändert? Kein Zweifel, das neue zweifarbige Layout und das Griffregister erhöhen die Benutzerfreundlichkeit. Ebenso, dass alle Stichwörter jetzt, "den neuesten Erkenntnissen der Wörterbuchdidaktik gemäß", so aufgeführt werden, dass jedes von ihnen auf einer neuen Zeile beginnt: Besser spät als nie: Der "Wahrig", Hauptkonkurrent auf dem Markt für einbändige Wörterbücher, folgt diesen "neuesten Erkenntnissen" schon seit 1980.

Neu hinzugekommen sind ca. 1.500 Wörter. Wenig überraschend sind die vielen "Denglisch"-Wörter (dieses Wort fehlt übrigens im Wörterbuch, findet sich aber im neuen Rechtschreibduden) aus der Welt des Internet, vom "Chat" übers "Downloaden" bis hin zur "Voicemail". Auch der "@-Klammeraffe" hat's in den "Universal-Duden" geschafft. Viel Neues beschert auch die Welt der Wirtschaft: die "Benchmark" etwa, das "Euroland" oder den "Xetra-Dax". Mit "Blockbuster", "Fotoshooting" oder "Trekkie" erweist sich die boomende Unterhaltungs- und Medienindustrie als ergiebigste Quelle von Neologismen. Freilich stellt sich bei vielen der neuen Wörter die Frage, ob ihre Aufnahme nicht allein dem Prinzip der Werbewirksamkeit folgt: Wer mag sich zur Zeit der 5. Auflage noch daran erinnern, geschweige denn dafür interessieren, was es mit der "Moorhuhnjagd" auf sich hat? Vom "Maschendrahtzaun" ganz zu schweigen.

Die Aufnahme solcher Wörter ist umso problematischer, als im Gegenzug zahlreiche bislang verzeichnete Wörter weggelassen wurden: Auf den zufällig aufgeschlagenen anderthalb Seiten zwischen "Fulda" und "Fünfpfennigstück" beispielsweise sind von der 3. zur 4. Auflage folgende Einträge verschwunden: "Fulgurit", "Füllautomat", "Füllmauer", "Füllort", "Füllsender", "fully fashioned", "Fumarole", "Fumé", "Fundamentalphilosophie", "Fundamentaltheologie", "Fundgeld", "Fundunterschlagung", "funebre", "Funeralien", "Fünfakter", "Fünfling", "Fünfmeterplattform", "Fünfpass" - rechnet man das auf die 1.800 Seiten Gesamtumfang hoch, kommt man auf satte 20.000 Wörter, die in der neuen Ausgabe nicht mehr stehen. Ein starkes Stück, wenn man bedenkt, dass der alte Universal-Duden "120.000 Stichwörter" enthält, der neue dagegen "140.000 Wörter und Wendungen" (!) enthalten soll - die Neuausgabe bietet also in Wirklichkeit weniger, nicht mehr.

Ein weites Feld, natürlich, die Rechtschreibreform sowie die Reform der Reform, also das Bemühen der Rechtschreibkommission, einige der mit der Reform verbundenen Absurditäten wieder zurückzunehmen. (Die alte Rechtschreibung wird vom "Universal-Duden" gänzlich ignoriert.) In der Praxis führt das zu einiger Verwirrung.

Beispiel Trennungen: Trennte man 1989 (2. Auflage, alte Rechtschreibung) noch "Lu-stration", so 1996 (3. Auflage, neue Rechtschreibung) "Lust-ration" (!) und 2001 "Lus-tration". Und wie trennt man "Abitur"? Zur Auswahl stehen "Ab-itur" (1989), "A-bi-tur" (1996), "Abi-tur" (2001). Ein Fall für Günther Jauch? Beispiel Zusammen- und Getrenntschreibung: Hieß es 1996 noch "kostensparend", so 2001 "Kosten sparend", aber "kostendeckend". Der neue Rechtschreibduden hat dagegen "kostensparend" wieder eingeführt.

Solche und andere Ungereimtheiten sind natürlich ein gefundenes Fressen für Duden- und Rechtschreibreform-Kritiker wie etwa den rührigen Sprachwissenschaftler Theo Ickler, der auch darauf hinweist, dass das Duden-Universalwörterbuch Tag für Tag unzählige Male verwendete Wörter wie "sogenannt", "Armvoll" oder "selbstgebacken" trotz "stets auf aktuellem Stand gehaltener Duden-Sprachkartei" ignoriert.

Fazit: Wer noch die letzte Auflage besitzt, ist mit dieser auch weiterhin gut bedient.

Titelbild

Duden - Deutsches Universalwörterbuch. 4. neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mehr als 140.000 Wörter und Wendungen. Buch und CD-ROM 78 DM.
Bibliographisches Institut, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2001.
1892 Seiten, 30,60 EUR.
ISBN-10: 3411055049

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