Friedensarbeit mit Kokain

Juli Zehs Romandebüt "Adler und Engel"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kokain spielt in Juli Zehs Debütroman "Adler und Engel" eine ganz zentrale Rolle. Vergessen wir, was wir einst bei Konstantin Wecker in "Uferlos" (1992) oder in diesem Frühjahr in Bettina Gundermanns Erzählung "Lines" darüber gelesen haben.

Max, ein erfolgreicher Jurist, kokst in ungesunden Maßen. Trotzdem ist er eine berufliche Koryphäe - spezialisiert auf Völkerrecht, mit dem Schwerpunkt Osteuropa. Er arbeitet an einem gleichermaßen reizvollen wie heiklen Projekt, an einem Vertragswerk, das das friedliche Zusammenleben der Volksgruppen im ehemaligen Jugoslawien regeln soll.

Die Berliner Autorin Juli Zeh, gerade einmal 26 Jahre alt, kennt sich in diesem Metier bestens aus. Im Sommersemester 2000 schrieb sie an der Berliner Humboldt-Universität eine umfangreiche Hausarbeit über das Thema "Das Selbstbestimmungsrecht der Völker".

Max' Arbeit für den Frieden auf dem Balkan wird allerdings empfindlich gestört, als seine ehemalige Schulfreundin Jessie auftaucht. Sie war im großen Stil in den Kokainhandel involviert, ist dann ausgestiegen, verfügt über viel Geld und noch mehr Koks. Doch Jessie hat auch panische Angst. Überall glaubt sie dunkle Gestalten zu erkennen, Hintermänner aus dem Drogenhandel, die ihr nach dem Leben trachten. Max rückt ihre Obsessionen zunächst in den Bereich der Wahnvorstellungen, ausgelöst durch den Kokain-Konsum.

Ein schwerwiegender Irrtum, wie sich herausstellt, denn während eines Telefonats mit Max erschießt sich Jessie, ausweglos zerfressen von realen und halluzinierten Ängsten. Der renommierte Völkerrechtler verliert immer mehr den Halt, quält sich mit Selbstvorwürfen und versucht in der Rekonstruktion von Jessies Lebensweg eine Art Flucht aus dem Alltag, bei der ihm immer größere Dosen Kokain helfen sollen.

Das liest sich schon herrlich spannend, aber damit erschöpfen sich die Qualitäten dieses Erstlings nicht. Vor allem versteht es Juli Zeh eindrucksvoll, wechselnde Stimmungen und verletzte Gefühle in Szene zu setzen. Jessie und Max sind hoffnungslose Einzelgänger, mal euphorisiert durch die Drogen, dann wieder in tiefe Depressionen abstürzend, unfähig zu wirklichen zwischenmenschlichen Beziehungen. Nicht anders steht es um das Verhältnis zwischen Max und Clara, einer Rundfunkjournalistin, die sich nach Jessies Tod an der Seite des Juristen tummelt. Das geschieht nicht ganz uneigennützig, denn Clara arbeitet an einer Diplomarbeit über den Kokainhandel. So toleriert sie fast gleichmütig Max' Schikanen, der sie beschimpft, schlägt und zum Teufel wünscht.

Der vorliegende Roman präsentiert ein Themenspektrum, das jedes psychologische, juristische und soziologische Proseminar in den Schatten stellt. Juli Zeh beleuchtet in "Adler und Engel" die dunkle, geheimnisvolle Hemisphäre des menschlichen Handelns, jenen Bereich der durch den üblichen common sense ebenso wenig zu erklären ist wie der blutige Krieg auf dem Balkan, der hier seinen düsteren Schatten wirft. Ein beeindruckendes literarisches Debütwerk trotz des kapitalen Umfangs fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite.

Titelbild

Juli Zeh: Adler und Engel. Roman.
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
448 Seiten, 23,50 EUR.
ISBN-10: 3895610542

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