Die vier Welten des Gunter Falk

DOSSIER EXTRA erscheint mit einem eindrucksvollen Lesungsmitschnitt auf zwei CDs

Von Peter ReichenbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Reichenbach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das dritte "DOSSIER EXTRA" widmet sich nach Peter Handke und Elfriede Jelinek nun mit Gunter Falk einem österreichischen Schriftsteller, der wahrscheinlich außerhalb von Graz und Wien vergessen beziehungsweise unbekannt ist ("Gunter Falk, a virtually unknown figure" - heißt es in einer Rezension der "Times"). Grund hierfür ist wohl der frühe Tod des Dichters mit 41 Jahren und seine wenigen Publikationen - er veröffentlichte nur zwei Gedichtbände im Verlag von Klaus Ramm. So liegt der Schwerpunkt in diesem Dossier verstärkt auf der Biographie Gunter Falks, ohne dass jedoch analytische Essays fehlten. Diese sind in diesem Band vorrangig von Bekannten und Kollegen des Dichters geschrieben, die durch Anekdoten auch die Person Falks für den Leser greifbar machen. Wichtig ist auch die Vorstellung seines Werkes: Neben einigen abgedruckten Gedichten und Fotos enthält dieses Buch zwei CDs mit Aufnahmen der letzten Lesung Gunther Falks zusammen mit der Jazz-Band "Neighbours", die zu dem Gelesenen improvisieren.

Eine Schlüsselstelle in diesem DOSSIER ist der biographische Text Günter Eichbergers, in dem es heißt: "Einmal hat mir Gunter Falk seine Vier-Welten-Theorie vorgetragen: In der ersten Welt sei er Soziologe, in der zweiten Welt Dichter, die dritte sei die des Rausches - und über die vierte könne man nichts sagen. Anscheinend das sogenannte Mystische, das sich - nach Wittgenstein - ,zeigt'". Auch die Essays und biografischen Texte in diesem DOSSIER lassen sich thematisch in diese Struktur eingliedern und erzählen von den vier Welten:

Die erste Welt:

Gunter Falk war rund zwanzig Jahre als Soziologe in Universitäten beschäftigt und veröffentlichte vergleichsweise wenige wissenschaftliche Studien. Christian Fleck misst in seinem Essay mit dem bezeichnenden Titel "Über das rasche Veralten soziologischer Texte" dem Soziologen Falk keine weitreichende Bedeutung zu. Bezeichnenderweise fällt Falk das Wort "Soziologie" auf seiner Lesung partout nicht ein. Wichtig für das dichterische Werk Falks scheint aber das Thema seiner Dissertation "Spiel" von 1966 zu sein: "Nicht die elendslangen Debatten bei irgendwelchen teach-ins, sondern die Flüchtigkeit des Spiels, des Happenings und der Aktion waren Falks Sache - theoretisch und natürlich viel mehr noch praktisch." (Christian Fleck).

Die zweite Welt:

Die Essays zu Falks Dichtung in diesem DOSSIER ordnen den Autor literaturhistorisch dem "Forum Stadtpark" in Graz, dem "Wiener Aktionismus" und der "Wiener Gruppe" zu. Richtigerweise wird hier festgestellt, dass Falks Gedichte sich von der reinen Semantik lösen und das Experimentieren mit dem Text als Material in den Vordergrund stellen. Es finden sich in diesem DOSSIER wichtige Analysen, etwa zu häufigen Verwendung von intertextuellen Bezügen, eine Interpretation zu einem Liebesgedicht, eine Analyse zu der häufig von Falk verwendeten Form des Haikus, durch die er sich "die Ausklammerung des Ichs und anderen Spielarten von Innerlichkeit" ermöglicht.

Die zwei CDs bilden die Grundlage für dieses Buch. Die mitgeschnittene Lesung zeugt von der Experimentierfreudigkeit des Autors. Die improvisierte Jazzmusik der "Neighbours" gibt den Gedichten und Haikus eine zusätzliche Spannung; und Themen Liebe, Alkoholismus und kommunikatives Scheitern werden sehr eindringlich und passend von der rauen und schnoddrigen Stimme des Dichters intoniert.

Die dritte Welt:

"Später landeten wir im ,Theatercafé'. Falk bestellte fünf Bier auf einmal. 'Nein bringen Sie lieber gleich sechs!'. Und zwar für sich allein", so schildert Günter Eichberger eine Begebenheit mit Gunter Falk. In vielen der Essays und biographischen Notizen in diesem Dossier finden sich ähnliche Erzählungen. Falk hatte mehrere Entziehungskuren hinter sich und schien sich mit seiner Sucht abzufinden, macht sie zum Thema seiner Gedichte: "franz ist lustig weil er trinkt / franz trinkt weil er lustig ist / hans ist lustig weil franz trinkt / [...] / hans ist lustig weil er trinkt / franz trinkt". Dieses Gedicht zeigt durch seinen parodistischen Charakter das Akzeptieren der Krankheit, die strenge Form, in der es verfasst ist, deutet aber auch gleichzeitig auf deren Ausweglosigkeit und Unheilbarkeit hin.

Die vierte Welt:

"Ich liebe dich, dachte er, aber sein herzschlag hatte schon ausgesetzt. Schnell würde die sauerstoffzufuhr in seinem hirn ersterben wie ein wind im gehölz." (Aus "Franz der Biertrinker" von Gunter Falk)

"DOSSIER EXTRA - Gunter Falk" gelingt es, das Œvre des Dichters einem breiteren Publikum posthum zugänglich und sein Leben zumindest in Ansätzen nachvollziehbar zu machen. Falk erhält so eine historische Stellung in der deutschsprachigen Literatur. Die analytischen Essays geben eine erste Aufschlüsselung seines Werkes, etwa in Bezug auf die intertextuellen Bezüge. Leser werden jedoch eine Einschätzung und Begründung für dieses Buch für die heutige Zeit vermissen. Manches im Werk Gunter Falks erscheint nur im zeitlichen Kontext als neu und revolutionär - das Thema Alkoholismus wiederum ist aktueller denn je, und die Art und Weise, wie Falk dieses Thema literarisch umsetzt, ist besonders spannend und birgt genügend Ansätze für weiterführende Studien. Notwendig hierfür ist vor allem, wie Dieter Glawischnig fordert, eine Neuausgabe der Texte Gunter Falks.

Titelbild

Daniela Bartens / Klaus Kastberger (Hg.): DOSSIER EXTRA - Gunter Falk. Mit zwei CDs.
Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2000.
276 Seiten, 43,50 EUR.
ISBN-10: 3854205449

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch