"Ich war heimgekehrt, auch zu mir selber"

Werk und Leben der Lola Landau

Von Anne NussbaumRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne Nussbaum

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Drei Leben habe sie gehabt. Beneidenswert. - Aber nein, kein biologisches Wunder, sondern: drei Leben in ein einziges gequetscht, Lola Landau immer wieder unter Schmerzen geboren. Nicht vielen wird sie bekannt sein. Und auch das hat etwas mit dieser Biographie zu tun. Nun wird die Schriftstellerin und ihr Werk erstmals von Birgitta Hamann ausführlich vorgestellt.

"Leonore (Lola) Landau wurde am 3.12.1892 als Tochter des Frauenarztes Theodor Landau (1861-1932) und seiner Ehefrau Philippine Landau (geb. Fulda, 1869-1964) in Berlin geboren." Etwas hausbacken kommt dieser erste Satz daher - aber in Landaus Leben war Spannung genug, um die Lektüre nicht langweilig werden zu lassen. Berlin, eine assimilierte jüdische Familie, bürgerlich, wohlhabend. Erste Gedichtveröffentlichungen zwischen 1910 und 1912 in der Beilage des "Berliner Tageblattes". Es folgen dramatische Arbeiten, die allerdings nur im privaten Kreis aufgeführt werden. Anfängliche Kriegsbegeisterung weicht pazifistischem Engagement. Ihre erste Ehe führt die junge Frau 1915 nach Breslau, in die Heimatstadt ihres Mannes Siegfried Marck. Dort bekommt sie zwei Söhne. 1916 hatte sie mit "Schimmernde Gelände" ihren ersten Gedichtband veröffentlicht, der zweite folgt 1919. Durch die lange Abwesenheit ihres Mannes während des Kriegsdienstes entfremden sich die beiden Ehepartner. Und dann lernt Lola Arnim kennen. Das erste Leben.

Ihre zweite Ehe mit dem Schriftsteller Arnim T. Wegner inspiriert Lola Landau auch literarisch. Die beiden Eheleute kritisieren gegenseitig ihre Produktionen und verfassen gemeinsam Texte, darunter ein Puppenspiel. Landau arbeitet an Novellen, Gedichten und Theaterstücken, versucht sich auch an einem Roman, den sie allerdings nie vollendet, und bringt 1922 den Gedichtband "Der unversiegbare Brunnen" heraus.

Die Familie, zu der im Jahre 1923 noch eine Tochter hinzukommt, lebt zunächst in der Abgeschiedenheit von Neuglobsow in der Mark Brandenburg. Zur besseren Förderung der Kinder mieten sie später noch eine Wohnung in Berlin, wo Landau die meiste Zeit mit ihren Kindern lebt. Die Ehepartner sind nun häufig getrennt. Aus zahlreichen Reisen, die Wegner und Landau zusammen unternehmen, entstehen Essays und Reiseberichte, die nicht nur unterhalten, sondern auch soziale Verhältnisse darstellen wollen. 1929 folgt auch eine Ägypten-Palästina-Reise. Für Landau keine Reise unter vielen. In ihrer Autobiographie schildert sie Jahrzehnte später ihr Erleben: "Ich war drinnen, nicht draußen. Das Land meiner Urväter kam mir entgegen, sauste auf mich zu. Nicht ich besuchte Palästina, Palästina suchte mich heim." Lola drinnen, Arnim draußen. Zum ersten Mal spüren die beiden ihre unterschiedliche Herkunft. Für den nicht-jüdischen Wegner bleiben die Empfindungen seiner Frau fremd.

Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus wird Landaus Entdeckung ihrer jüdischen Identität intensiver. Sie interessiert sich für die zionistische Bewegung und arbeitet seit 1933 für Keren Hajessod. Eine willkommene Einnahmequelle, denn Wegner war aufgrund politischer Schriften mit Publikationsverbot belegt worden - die finanzielle Situation hatte sich verschärft. Als dann Wegner sogar verhaftet und in verschiedenen Konzentrationslagern festgehalten wird, versucht Landau, die Auswanderung der Familie nach England zu organisieren. Jahrelang ist die Familie auseinandergerissen, innerlich und äußerlich. Sohn Andreas mit der Mutter in England, Sohn Alf in Breslau, Tochter Sibylle in Berlin, der Vater... endlich frei. Deutschland, England, Palästina, Italien - mal zusammen, mal getrennt. An literarisches Arbeiten ist nicht mehr zu denken.

Schließlich trennt sich das Paar: Landau läßt sich endgültig in Palästina nieder, Wegner bleibt in Italien. "Schicksalhafte Schicksalsverschiedenheiten" nennt Lola das. Sie lieben einander, aber keiner kann es dort ertragen, wo der andere seine Luft zum Atmen findet. Seit 1940, dem Jahr nach ihrer offiziellen Scheidung, macht der Krieg einen Kontakt der beiden unmöglich und bereitet ihrer Beziehung ein Ende. Das zweite Leben.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten lebt sich Landau in Palästina gut ein. Sie arbeitet weiter für Keren Hajessod und später eine Zeit lang als Englischlehrerin. Sie schreibt einen Roman über ihren Jerusalemer Lebensgefährten Pessach Hebroni, der allerdings nur in hebräischer Übersetzung erschien. Daneben entstehen Aufsätze und Prosaszkizzen, die die neue Lebenswelt Landaus zum Thema haben und das jüdische Aufbauwerk dokumentieren. In einem deutschen Verlag kann Landau erst wieder 1957 publizieren. Vieles, was sie jetzt schreibt, hat Bezüge zu ihrem Leben. Ihre größte Publikation wird ihre Autobiographie "Vor dem Vergessen. Meine drei Leben" sein, die bereits 1952 beendet ist, erstmals aber erst 1987 erscheint.

In Jerusalem hat sie Kontakt zu anderen Schriftstellern, nimmt aber an literarischen Runden nicht teil. Die vielen Kriege in Israel stören immer wieder ihre literarische Produktion. Landau engagiert sich politisch in der Frauenliga für Frieden und Freiheit. Sie besucht Europa und 1961 auch Deutschland. Hier merkt sie deutlich: "Ich bin in Israel zu Hause." Und dennoch: die Sprache bindet sie für immer an ihr Geburtsland. Bis zu ihrem Tode lebt sie in einer deutschsprachigen Umgebung in Jerusalem. Im Alter von 97 stirbt Lola Landau. Drei Leben in einem.

Birgitta Hamann hat richtig erkannt, dass man bei dieser Literatur nicht von der politischen Entwicklung absehen kann. Aus diesem Grunde hat sie sich für ihre Dissertation in die Zeitgeschichte eingearbeitet. Herausgekommen ist ein Buch, das vor Informationsreichtum strotzt. Hamanns Quellen sind zunächst die veröffentlichten sowie die unveröffentlichten Schriften Landaus, zudem verschiedene Briefwechsel, Vorträge, Reden, Rezensionen u. ä. sowie den zeitgeschichtlichen Hintergrund betreffende Forschungsliteratur. Schließlich ist die Verfassern noch ausgezogen, deutschsprachige Schriftsteller in Israel zu befragen.

Diesen reichhaltigen Stoff präsentiert Hamann sehr traditionell, indem sie im ersten Teil ihres Buches streng chronologisch vorgeht. Die Besprechung der Bücher wird in diese Chronologie eingebettet - ein akzeptables, wenn vielleicht auch nicht bestmögliches Verfahren. Aber in der Konzeption steckt mehr als eine erzählerische Schwäche.

Hamann geht nämlich vom Allgemeinen zum Speziellen. Die lexikonartige Darstellung des geschichtlichen Rahmens geht der Präsentation der jeweiligen Ereignisse in Landaus Leben voraus. Damit wird der Schwerpunkt von der eigentlichen Protagonistin weggenommen. Das wesentliche Problem, das aus diesem Verfahren entsteht, ist die Verbindungslosigkeit beider Darstellungen. So wird z. B. eine mit Daten und Fakten durchsetzte Beschreibung der politischen Ereignisse rund um den Libanonkrieg bis zur Intifada mit Landaus Leben nur sehr oberflächlich verbunden: "Persönlich wie literarisch wurde Lola Landau im Jahr des Ausbruchs der Intifada 1987, gleichzeitig das Jahr ihres 95. Geburtstages, besonders gewürdigt." Nahtlos schließen die Probleme Landaus an, einen Verlag für ihre Autobiographie zu finden. Von der Intifada keine Spur mehr. Es werden zwei Erzählstränge entfaltet, die an so manchen Stellen nichts miteinander zu tun haben.

Birgitta Hamanns Leistung liegt im biographischen Teil; durch Briefe bekommt der Leser einen authentischen Einblick in Landaus Leben. Außerdem bietet das Buch eine Einführung in die Problematik deutschsprachiger israelischer Autoren.

Dabei bieten die Texte Landaus zahlreiche Anknüpfungspunkte, um historische Hintergründe zu beleuchten. Die Bewertung der Jugend als "freie Kinder des neuen Palästinas" beispielsweise, die Beschreibung der Staatswerdung als "Geburt" oder die Rede von der Aufgabe, "den vernachlässigten jüdischen Boden zu ,erlösen', wie man es nannte". Verbände man an diesen Stellen Werk, Biographie und Zeitgeschichte, so gäbe es noch eine ganze Menge über Landau zu sagen.

Titelbild

Brigitta Hamann: Lola Landau. Leben und Werk. Ein Beispiel deutsch-jüdischer Literatur des 20. Jahrhunderts in Deutschland und Israel.
Philo Verlagsgesellschaft, Berlin 2000.
360 Seiten, 37,80 EUR.
ISBN-10: 3825701514

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch