Jenseits von Epirus

Nikos Themelis' kleines Meisterwerk "Jenseits von Epiros"

Von Charlotte IndenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Charlotte Inden

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was lässt einen Menschen einen anderen begreifen? Ist nur der unbekannt, dem man nie begegnet ist, oder ist es auch jener, an dessen Seite man lebte?

Nikos ist auf der Suche. Ihn quält die Frage des "Warum aller Warums". Sein Vater riet ihm, immer nach diesem "Warum" Ausschau zu halten. Und warum sein Vater eines Tages fortging und nie wiederkehrte, will Nikos verstehen. Nikos verlässt Griechenland, verschwindet ebenfalls für immer.

Über hundert Jahre später ist ein anderer Nikos auf der Suche. Nikos Themelis erforscht das Leben seines Großvaters Nikolas, liebevoll "Nikos" gerufen, nach dem er benannt wurde. "Jenseits von Epirus" verbrachte der Nikos des 19. Jahrhunderts sein Leben, und der Nikos des 20. Jahrhunderts folgt seinen Spuren.

Nach Nikolas Aufbruch aus seiner Heimat Epirus erzählen einige seiner Weggefährten dessen Lebensgeschichte. Doch er bleibt uns fremd. Denn wir sehen immer nur seine äußere Schale, egal durch wessen Augen. Gerade diese Vielfalt der Augenpaare wird zur Schwierigkeit: Kaum sind wir an eine Sichtweise gewöhnt und fasziniert von den Schilderungen, bricht der Bericht ab. Um so vielfältiger wird jedoch das Bild der fremden Welt am Ägäischen Meer. Die einzige Konstante bleibt Nikos mit der harten Schale. Manchmal sind zarte Risse im Panzer zu erkennen, doch aufbrechen tut er nie.

Vielleicht ist es aber das, was Nikos Themelis wollte. Er lernte seinen Großvater nie ganz kennen. So bleibt ein breiter Graben zwischen ihnen, und wenn Nikos Themelis ihn überschreiten, ein umrissscharfes Bild ohne Schatten und Schemen zeichnen wollte, dann wäre es vielleicht das Abbild eines anderen, dann wäre diese Geschichte nicht die Geschichte seines Großvaters Nikolas.

Da ist zuerst jener Baumeister, der den jungen Nikos aus dem Meer fischt und ihn für die Errichtung einer Ölmühle anstellt. Inmitten von Olivenbäumen am Fuße des Meeres treffen wir auf die außergewöhnlichsten und liebenswertesten Menschen. Jene Zeilen sind getränkt von Raki und Dämpfen des türkischen Bades. Nikos ist für alle rätselhaft, ein ernster, stiller Junge. Doch als er die Ruinen einer antiken Stadt findet und sie zuschütten will, helfen sie ihm. Diese Stadt soll vor Plünderern verborgen und geschützt sein. Solange es Träume gibt, ist alles möglich, sagt Nikos.

Dann ist da Vaios. Vaios, der vom kranken Mann am Bosporus erzählt, von der Industrialisierung, der schwierigen Lage der Griechen im Orient. Vaios, Sohn eines reichen Kaufmannes, Vaios, der Nikos bester Freund wird. Jetzt ist Nikos erwachsen, noch immer rätselhaft, still und ernst. Und er ist voller Ehrgeiz. Woher er die Kraft nimmt, ist allen unklar, und warum er sie aufwendet ebenfalls. Sie haben nicht gelernt nach dem "Warum aller Warum" zu fragen. Nikos wird Nikolis-Efendi. Er heiratet Vaios' Schwester, die schöne Anna. Vaios ist selig, der Verantwortung ledig, seiner Wege ziehen zu können. Und wenn dann die Nona erzählt, Vaios' und Annas alte Kinderfrau, dann wird immer deutlicher, dass es Nikos nicht gegeben ist, glücklich zu werden. Unglücklich ist seine Liebe zu Anna, denn so sehr er Anna liebt, so wenig liebt Anna ihn. Schwärzester aller Tage ist jener, an dem sie es ihm ins Gesicht schreit.

Dann erzählt der Lehrer ihrer drei Söhne. Er spricht mit Bewunderung von Annas Schönheit, Nikos' Stärke und von Kostas, dem mittleren Sohn, der so sehr dem Vater gleicht. Vom Lehrer erfahren wir, dass Nikos seine Arbeiter in den Weinbergen unterrichten lassen will. Sie sollen die Möglichkeit haben, ihr Leben zu ändern und zum Besseren zu wenden, wenn sie es wünschen.

Das ist das Schicksal des Nikolas: Das Leben anderer lebenswerter werden zu lassen, gelingt ihm. Ob er selbst bei seinem Tode glücklich aus der Welt schied, kann der Lehrer nicht wissen. Aber er weiß, dass Nikos einen Traum hatte.

Der Kreis schließt sich schließlich, denn Kostas wird später einen Sohn haben und ihn Nikos nennen, nach jenem Nikolas, der aufbrach und Epirus verließ, um die Welt und das Glück, um das "Warum aller Warum" zu finden. Glücklich ist dann der Leser. Denn beschenkt sieht er sich von all diesen Menschen und ihren Geschichten, von den Eindrücken einer so fremden Welt. Das Griechentum im Orient riecht und liest sich als ein kleines Wunder, wenn Autor Nikos Themelis es schildert. Und als ein großes Wunder liest sich Enkel Nikos Themelis' Versuch, sich dem unbekannten Großvater anzunähern, der einst auszog, den Vater zu verstehen.


Titelbild

Nikos Themelis: Jenseits von Epirus. Roman.
Übersetzt aus dem Neugriechischen von Norbert Hauser.
Piper Verlag, München 2001.
380 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3492042821

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