Die Liebesklage in einer kalten Welt

Jannis Ritsos' Lang-Gedicht "Mondscheinsonate"

Von Marina von HahnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marina von Hahn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Gedicht über Liebe und Tod klingt an. Eine alte Frau spricht für einen imaginären Geliebten. Sie wird im Licht des Mondes für eine Nacht zum jungen Mädchen von einst. Der Mond vergoldet ihr Haar und lässt Beethovens "Mondscheinsonate" erklingen, die sie in ihrer Jugend gespielt hat. Erinnerungen tauchen auf: der Duft der Kamille, Schatten, Schwäne, Tote. Gedanken an Jugend und Tod werden wach. Todesgedanken überwiegen schließlich. Das Klavier wird zum Sarg. Die Frau ertrinkt in der Flut der Bilder, als sie in der Küche ihres Hauses ankommt.

Hier liegt ein Bruch im Erzählfluss. Rationalität wird fraglich. Surreale Bilder überwiegen. Ein Meeresgrund mit schwebenden Medusen taucht auf: "Nicht selten fand ich in der erstickenden Tiefe meines Innern Korallen und Perlen... Gegenwärtiges und Zukünftiges". Das Erlebnis wird zum Aufstieg und zum Fall. Die Frau sucht den Tod, sie will seine und ihre Schritte nicht mehr hören und auch nicht mehr die "Schritte Gottes". Die Spurensuche nach Vergangenheit und Erinnerung, Spurensuche bestimmt den Weg der Frau. Sie sucht ihr Haus, und während sie noch sucht, verfällt es vor ihren Augen. Das Haus, ihr Schutz und ihr Körper werden ihr fremd. Die kurz auflachende Jugend, bestimmt durch die Erinnerung an die Liebe, die wie ein Leitmotiv das Gedicht musikalisch treibt, äußert sich in den Worten: "Ich will mit dir gehen".

Der lange Monolog des Liebenden, der ohne Resonanz verhallt, lässt viele Fragen offen. Ist diese Liebe in jener Zeit ein Abprallen von einer narzisstischen Gesellschaft, in der Liebe zur Sackgasse wird? Liegt hier die Erinnerung an dem Mythos von Echo und Narziss vor? Echo wird, durch ihre sinnlose Sehnsucht nach Liebe, ihrem Körper entfremdet und hallt als Stimme bis heute eindringlich und vergeblich weiter. Oder ist es ein Lied auf die Vergänglichkeit, auf das Schicksal einer alten Frau, der nur der Wunsch nach Zärtlichkeit bleibt.

Jannis Ritsos (1909-1990), der sich intensiv mit griechischem Tanz auseinandersetzte, hat immer wieder versucht, besondere Rhythmen des Tanzes auf seinen poetischen Ausdruck zu übertragen. Hier ist die Sonatenform mit zwei entgegengesetzten Themen wiederzuerkennen. Es ist einerseits der Wunsch nach Dauer und andererseits das unaufhaltsame Vergehen in der Musik.

Sein und Vergehen, Haus und Mondscheinsonate sind als Thema und Gegenthema dieses Lang-Gedichts aufeinander abgestimmt.

Titelbild

Jannis Ritsos: Die Mondscheinsonate. Ein Lang-Gedicht. Mit einem Nachwort von Elli Alexiou.
Axel Dielmann Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
24 Seiten, 7,20 EUR.
ISBN-10: 3933974216

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