Zwischen Austerlitz und Waterloo

Patrick Rambaud eröffnet "Die Schlacht" und lässt einen verstörten Leser zurück

Von Dominik Johannes SchäferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Johannes Schäfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vernichtende Niederlagen und triumphale Siege sind die Stoffe aus denen die Biographien großer Männer hervorgehen. In ihren schwärzesten Stunden werden die Feldherren und Machthaber der Weltgeschichte menschlich, wird ihr Leid nachvollziehbar. Ihre Triumphe sind in der Lage, uns in den Bann einer Persönlichkeit zu ziehen, lassen uns manche Gräuel vergessen. Das eigentliche Leben findet jedoch in den Zwischenräumen statt. Jenseits von Triumph und Vernichtung wird der wahre Charakter erahnbar. Dort, wo der Glanz des Siegerkranzes erlischt und der Nebel der Niederlage im Boden versinkt, ist der Blick frei für einen entlarvenden Blick auf den Feldherren und sein Heer. Auf menschliche Schwächen, Feigheit, Gehorsam und Willkür. Der Feldherr heißt Napoleon Bonaparte. Seine Genialität hat er in Austerlitz schon bewiesen. Sein Waterloo liegt noch vor ihm. Sein Gegner ist Erzherzog Karl von Österreich. Sein Schlachtfeld liegt zwischen den Dörfern Aspern und Eßling. Sein Triumph wird von den Fluten der Donau hinweggeschwemmt. Zurück bleiben ein Blutbad und zwei geschlagene Armeen.

Eine Schlacht ohne Sieger. Das erste große Blutbad eines modernen Krieges. 40.000 Tote und 11.000 Verwundete. Zwei völlig verwüstete Dörfer. Aspern und Eßling.

Für den Franzosen Patrick Rambaud Stoff genug für einen Roman. "Die Schlacht" ist ein Versuch. Der Versuch, die Geschichte einer Schlacht zu erzählen, von der ersten Kugel bis zum letzten röchelnden Verwundeten. Sein großer Landsmann Honoré de Balzac hatte es angekündigt, aber nie verwirklicht. Rambaud wagt es und führt seine Leser über eine wacklige Behelfsbrücke über die Donau auf das Schlachtfeld, lässt Kanonenkugeln fliegen, Häuser in Flammen aufgehen und Soldaten durch die Innereien ihrer Kameraden waten. Am Ende bleibt auch den sonderbaren Schlachtenbummlern nur der Rückzug. Die Brücke ist zerrissen. Der Nachschub abgeschnitten. Die Schlacht abgebrochen.

"Fayolle steckte den brennenden Docht des Luntenstocks in den offenen Mund eines Ulanen, drückte ihm den Stiel mit aller Kraft in den Schlund, und der andere taumelte zu Boden, wand sich, von heftigen Krämpfen geschüttelt, die Augen verdreht, die Kehle verbrannt." Drastische Schilderungen eines enthemmten Kampfes. Nicht die Soldatenehre steht im Vordergrund, sondern das nackte Überleben. Dieser Wille des Einzelnen zum Überleben, dieser Kampf mit allen Mitteln, wird von Rambaud in aller Deutlichkeit vorgeführt. Er lässt Gedärme aus aufgeschlitzten Bäuchen hängen, Beine amputieren - ohne auch nur in die Nähe der Blutrünstigkeit zu geraten. Er blickt nicht beim ersten Blutstropfen weg, lässt vielmehr das historische Blutbad in seinen Roman einsickern. Dennoch hält er ihn fern von all dem Sudel, den eine Schlacht mit sich bringt und der dazu angetan gewesen wäre, den Stoff zu einem wahrhaft schaurigen Machwerk zu liefern. Seine Geschichte geht unbeschädigt aus der Schlacht hervor. Überlebt all die Kanonenschläge, rettet sich vor den Lanzen der Häscher.

Im Felde ungeschlagen ist es der Autor selbst, der seinem Roman den Dolchstoß versetzt. Er begnügt sich nicht damit Geschichte nachzuerzählen, sondern entwirft Geschichtchen. Begleitet den einfachen Soldaten Paradis ins Feld. Lässt ihn von Liebe und Heimat träumen. Versucht durch den Verbindungsoffizier Lejeune den Gesamtzusammenhang nicht aus den Augen zu verlieren. Schafft es sogar, aus der Schlacht ins nahe gelegene Wien zu entfliehen. Stellt uns den Beobachter Henri Beyle, der sich damals noch nicht Stendhal nannte, vor. Verstrickt sich in den immer neuen Schlingen der Rahmenhandlung. Löst sich immer seltener aus den selbst erschaffenen Wirrnissen, um vor die Augen Napoleons zu treten. Zeigt einen genialen Feldherren und despotischen Kaiser. Ermöglicht Teilhabe an unbegrenztem Größenwahn. "Er stellt sich die Schlacht auf ihrem Höhepunkt vor, er hört die Kanonen, die Schreie, jenes Höllenspektakel, das Europa in Angst und Schrecken versetzte. ,Ein großes Spektakel', dachte er, ,sorgt für großes Ansehen. Je mehr Lärm man macht, um so weiter wird er getragen. Gesetze, Institutionen, Denkmäler, Nationen, Menschen, sie alle vergehen, aber das Getöse überdauert die Jahrhunderte...'"

Die Worte Napoleons in den Ohren, die ehrgeizigen Pläne des selbst ernannten Nachfolgers Balzacs vor Augen, bleibt ein seltsames Gefühl zurück. "Die Schlacht" hat ein Ende. Der Sieger steht fest: Patrick Rambaud. Er erhielt für dieses Werk den Romanpreis der Académie Française und den Prix Goncourt. Der Leser jedoch bleibt auf den Schlachtfeldern liegen. Fühlt sich nicht als Sieger. Hat viel Leid gesehen und erfahren. Legt sich ermattet zu einem der gefallenen Soldaten. Beginnt seine Wunden zu lecken und denkt: "Schlaf in Frieden, Kamerad, und bis später vielleicht..."

Titelbild

Patrick Rambaud: Die Schlacht. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Ina Kronenberger.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
318 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3458170081

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