Aus dem Wörterbuch der Unmenschen

Cornelia Schmitz-Bernings "Vokabular des Nationalsozialismus" als Nachdruck

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1998 erschien ein Handbuch, das - aus den Quellen erarbeitet - die Sprache und das Vokabular des Nationalsozialismus anhand von knappen, gut belegten (und genau nachgewiesenen) Beispielen und Zitaten umfassend darstellt. Die Quellen, auf die Cornelia Schmitz-Berning zurückgreift, sind - neben Lexika und Enzyklopädien - die Dokumentationen über die Zeit der NS-Herrschaft, Hitlers Führerworte, Reden und Proklamationen, Anordnungen und Erlässe, dann Dokumente aus dem inneren Kreis der NS-Führung wie Joseph Goebbels' Tagebücher oder Alfred Rosenbergs "Der Mythus des 20. Jahrhunderts" (1930), und ferner Dokumentensammlungen wie Heinz Boberachs Edition "Meldungen aus dem Reich" (von 1984). Außerdem Einschlägiges aus dem Um- und Vorfeld der nationalsozialistischen Ideologie, etwa Hans F. K. Günthers "Rassenkunde" (1922) oder Paul Schultze-Naumburgs Buch "Kunst und Rasse" (1928). Des Weiteren Pressestimmen, zeitgenössische Fachliteratur (Gesetzeskommentare, Dissertationen etc.), Ausstellungskataloge sowie Erinnerungen und Tagebücher, schließlich Darstellungen aus der Nachkriegszeit, darunter "Aus dem Wörterbuch des Unmenschen", die Sprachkritik von Sternberger, Storz und Süskind, H. G. Adlers Buch "Theresienstadt 1941-1945" (1955) und Eugen Kogons "Der SS-Staat" (1946).

Aus diesen Quellen wird zitiert, wenn es darum geht, einschlägige Begriffe wie Ahnenpass, Anschluss und Arier, Fähnlein, Frauendienst und Führer, Objektivität, Orden und Ostmark, Volksgemeinschaft, Weltjudentum und Zersetzung in ihrer Bedeutung und Verwendung darzustellen. Die einzelnen Lemmata des Nachschlagewerks machen dabei deutlich, wie sehr Hitler und seine Gefolgsleute schon in der sogenannten "Kampfzeit" (die Spanne von 1918 bis 1933), vor allem aber in der Zeit des sogenannten "Dritten Reichs" die deutsche Sprache geprägt und manipuliert haben. Dankenswerterweise führt Schmitz-Berning ihre Wortartikel und somit die Darstellung der jeweiligen Begriffsgeschichte bis in die Gegenwart fort und kann dadurch zeigen, wie sehr auch unser Vokabular noch immer von Hitler geprägt ist.

Bei ihren Exzerptionen legt Schmitz-Berning Wert auf einen breiten, repräsentativen Querschnitt "verschiedener Texttypen aus den verschiedensten Sachgebieten". Sie hat die Protokolle des Nürnberger Prozesses ebenso ausgewertet wie Gestapo-Berichte und Beispiele privaten Sprachgebrauchs. Jeder Artikel ist nach dem gleichen Schema aufgebaut: Am Anfang steht die paraphrasierte Bedeutung des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs; dann schließt sich die Herleitung des Begriffs an, gefolgt von der Dokumentation der Verwendungsweisen des Begriffes, wobei auch die diachrone Entwicklung mit einbezogen wird.

Unter dem Stichwort "Konzentrationslager (KL, KZ)" ist beispielsweise zu erfahren, dass es sich hierbei um eine Lehnübersetzung des englischen "concentration camp" handelt, die durch die Presseberichte über den Burenkrieg (1899-1902) in Deutschland verbreitet wurde und noch vor Hitlers Machtergreifung Eingang in "Meyers Lexikon" (7. Aufl., 15 Bde., Leipzig 1924-1933) fand. Freilich bezeichnete das KZ im NS-Regime einen neuen Lagertyp und wurde erst hier zum Inbegriff des Vernichtungsterrors: "Ab März 1933 wurden politische Gegner unter Ausnutzung des Freibriefs der 'Notverordnung' vom 28.2.1933 in sogenannte Schutzhaft genommen und in Konzentrationslager verschleppt." Der Volksmund prägte dafür die verharmlosende Formel "Konzertlager". Das erste KZ entstand in Dachau, und bereits 1933 vertrauten Walter Tausk und Victor Klemperer ihrem Tagebuch an, was sie über den schrecklichen Alltag in den KZs in Erfahrung bringen konnten. Tausk spricht 1933 von rund einer Million Menschen, die sich, ausländischen Zeitungen zufolge, in deutschen Konzentrationslagern befänden. Spätestens seit Kriegsende 1945 steht der Begriff für den Genozid ("Auschwitz") an Millionen Juden.

Ein anderes Beispiel betrifft den Begriff "Gesundes Volksempfinden", der 1935 Aufnahme in die Gesetzessprache fand und das "Führerprinzip" in die Rechtsprechung einführte: "Denn den Charakter des Reiches bestimmt allein der Führer." Der Begriff wurde abgegrenzt vom "tatsächlichen Volksempfinden" und legitimierte in vielen Fällen die Überschreitung des üblichen Strafrahmens, nicht selten bis hin zur Todesstrafe.

Einziges, damit zugleich größtes Manko des Buches: Es verzichtet auf ein Register der Namen und Begriffe.

Titelbild

Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus.
De Gruyter, Berlin 2000.
710 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 311016888X
ISBN-13: 9783110168884

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