Das schlimme Ding an sich

Wolfgang Eschkers historische Miniaturen "Der Tod in Triest"

Von Roland KroemerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roland Kroemer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Kein Künstler ist während der ganzen vierundzwanzig Stunden seines täglichen Tages ununterbrochen Künstler; alles Wesentliche, alles Dauernde, das ihm gelingt, geschieht immer nur in den wenigen und seltenen Augenblicken der Inspiration." In seinen "Sternstunden der Menschheit" hat Stefan Zweig zwölf unvergeßlichen Augenblicken ein literarisches Denkmal gesetzt. Nun hat Wolfgang Eschker mit seinen Erzählungen "Der Tod in Triest" ein Pendant zu Zweigs Buch vorgelegt: Nicht um göttliche Momente, nicht um Sternstunden geht es ihm. Er erzählt von den Schattenseiten der Berühmten, von Ereignissen, die in keiner Biographie Erwähnung fanden.

Schon die Geschichten über Georg Christoph Lichtenberg zeigen, daß Eschker keine Scheu hat vor großen Namen. Mit spitzbübischer Freude macht er sich daran, dem Bild des Aufklärers und Spötters ein paar Schrammen zuzufügen. Aus der Froschperspektive der Bediensteten (zuerst eines Zimmermädchens, danach eines Kutschers), die der "Herr" alles andere als ehrenhaft behandelt, werden die kleinen und großen Neurosen des "Herrn Professors" geschildert. So kalauert Lichtenberg in der zweiten Geschichte zum Leidwesen seines Dieners wie besessen über das "Ding an sich" - das freilich weniger etwas mit Kant als vielmehr mit Lacan zu tun hat: "Die nie von seiner Seite wich, auch die liebte das Ding an sich."

Erzählt wird von Lichtenbergs Aufenthalt im Observatorium von Hannover, für das er im königlichen Auftrag Gradmessungen vornehmen soll. Mit Unterstützung eines Bettelweibs sorgt er für Abwechslung in der einsamen Abgeschiedenheit: "Er beobachtete und studierte den Venusdurchgang wie am Himmel, so auf Erden. Er maß und vermaß aufs allergenaueste Hannovers und Maries geographische Länge und Breite. Er stellte die ungewöhnlichsten Versuche und Experimente an, wozu ihn aber auch schon seine geringe Körpergröße und sein Buckel zwangen, wollte er nur einigermaßen mithalten. Immerhin war das Bettelmädchen einen Kopf größer als er."

Respekt und Ehrfurcht haben bei Eschker keine Chance. Permanent zerstört er den aufkommenden Pathos seiner Titelhelden Lichtenberg, Winckelmann und Storm durch einen spöttischen Kommentar oder eine unerwartete Wendung und hält ihnen so den Spiegel vor: Würde und Lächerlichkeit liegen enger beisammen als gemeinhin geglaubt. Das Reizvolle an den Texten ist der ständige Wechsel von Realität und Fiktion. In das Feuerwerk seiner grotesken Einfälle mischt Eschker immer wieder historische Tatsachen, zitiert echte Briefstellen und Tagebucheinträge, die dem Erzählten die Aura der Authentizität verleihen sollen.

Ein Highlight des Buches ist die Titelgeschichte "Der Tod in Triest", in der Eschker das Geheimnis um Winckelmanns Tod lüftet. Endlich wissen wir es: der berühmte Kunsthistoriker ("edle Einfalt und stille Größe") wurde - von der Stasi ermordet. Die neuesten Ergebnisse aus der Winckelmann-Forschung, auch sie Zielscheibe von Eschkers spitzer Feder, werden mit gespielter Ernsthaftigkeit angeführt, um die skurrile Behauptung zu beweisen. Mit Liebe zum Detail gestaltet Eschker das Aufeinanderprallen der beiden Zeiten und Kulturen. Ein besonderer Genuß ist die Lektüre der IM-Protokolle, deren schiefes Amtsdeutsch auf grandiose Weise karikiert wird. "Auf einige unfreiwillig komische Stellen", so entschuldigt sich der Erzähler gleich zu Beginn, "sowie auf die eine oder andere anstößig-ordinäre Passage konnte aus Gründen der Authentizität nicht verzichtet werden."

Titelbild

Wolfgang Eschker: Tod in Triest. Miniaturen aus dem Leben von Lichtenberg,Winckelmann, Storm.
Akademischer Verlag Christoph Hofbauer und Ilia Trojanow, Blieskastel 1999.
139 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3933389046

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