Die Spaßgesellschaft am Ende

Andreas Dörner findet in "Politainment" Spuren der Politik in der medialen Unterhaltung

Von Dominik Johannes SchäferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Johannes Schäfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Attentat. Die Pfeiler der letzten verbliebenen Supermacht in ihren Grundpfeilern erschüttert, zerstört. Nichts wird mehr so sein, wie es war. Nichts darf mehr so sein, wie es war. Es hat sich ausgekichert für die Jünger der Spaßgesellschaft. Die Generation der lustigen Individualisten muss endlich einsehen, dass ein Leben ohne Politik ein Leben ohne Sinn ist und eine ständige Gefahr bedeutet. Die Gesellschaften der westlichen Welt und speziell Deutschlands verlassen fluchtartig den sinnfreien Raum der seichten Unterhaltung. Seit dem 11. September steht die Politik wieder gut sichtbar an jenem Platz, den sie eigentlich nie verlassen hatte. Sie hatte sich lediglich getarnt, war verbrauchergerecht geworden. So bleibt die Frage: Wird sich wirklich alles ändern? Nichts wird mehr so sein wie es war - von wegen: Der Spaß ist zwar vorbei, die Show kann dennoch weitergehen. Vorhang auf, Bühne frei: Politik war gestern, heute ist "Politainment".

Wer glaubt, die ehrwürdige Politikwissenschaft würde bei der Betrachtung einer Vorabendserie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, der irrt. Wer glaubt, ein privater Action-Thriller wäre so arm an Botschaften wie Kabul, der irrt. Wer dazu noch glaubt, die Politikwissenschaft würde fernab von der Erfahrungswirklichkeit der Bürger ihr beschwerliches und erschreckend theoretisches Tagwerk verrichten, der irrt absolut. Andreas Dörner gibt in "Politainment - Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft" allen Irrenden die Möglichkeit, sich belehren zu lassen, ohne belehrt zu werden.

"Politainment bezeichnet eine bestimmte Form der öffentlichen, massenmedial vermittelten Kommunikation, in der politische Themen, Akteure, Prozesse, Deutungsmuster, Identitäten und Sinnentwürfe im Modus der Unterhaltung zu einer neuen Realität des Politischen montiert werden." So klar und trocken die erste Definition von Politainment, und wer es sich zur Gewohnheit hat werden lassen, bei der Lektüre eines Buches hauptsächlich das Zwerchfell zu strapazieren, sollte spätestens nach einem Blick in das Inhaltsverzeichnis seinen Irrtum bemerken und das Buch lieber zur Seite legen. Auf alle, die von ihrem Hirn und seinen Fähigkeiten gerne und häufig Gebrauch machen, wartet ein vielschichtiges Leseerlebnis, und es ist nicht ausgeschlossen, dass der eine oder andere sich am Ende sogar gut unterhalten fühlt.

Der Autor, Andreas Dörner, Dozent für Politikwissenschaft an der Bergischen Universität GH Wuppertal, ist ein feiner Beobachter und präziser Fragensteller. Er entwickelt seine Forschung ausgehend von Fragen wie "Welche Rolle spielt Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft?" und "Was ist Unterhaltung?". Dörner klärt Definitionen und entblößt ohne großen Aufwand die Schwächen der altehrwürdigen Kritischen Theorie eines Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in Bezug auf deren Kritik an der Kulturindustrie, um sich aufbauend auf diesem festen Fundament den Realitäten der bundesrepublikanischen Fernsehunterhaltung zuzuwenden.

Dörner schaut genau hin. Findet Spuren des Politischen in den Säulen der Spaßgesellschaft. Erforscht von Talk-Shows über Serien bis hin zum Action-Thriller vermeintlich sinnfreie Unterhaltungsware. Trifft auf Politiker in "Die Harald-Schmidt-Show" und erkennt neue Arten der Wahlwerbung. Lässt sich von der biederen Atmosphäre eines "Forsthaus Falkenau" nicht täuschen und entdeckt Formen der politischen Konditionierung des Fernsehzuschauers durch Offerten von Handlungsmustern im Feld-, Wald- und Wiesen-Umfeld des Forsthauses. Blickt über die vordergründige Handlung des Thrillers "Götterdämmerung" hinweg und entschlüsselt einen tiefgründigen Wertecodex. Sammelt seine Eindrücke und Erkenntnisse und formuliert Grundstrukturen der bundesrepublikanischen politischen Unterhaltung und unterhaltenden Politik.

Es erklingt kein Jammern über den Verfall der guten reinen politischen Botschaft. Der Niedergang der herkömmlichen Wertevermittlung wird mit keinem Satz angeprangert. Die Visionen und Beurteilungen überlässt Dörner anderen. Er begnügt sich mit der Rolle des Buchhalters, der detailliert zusammenträgt, was vorhanden ist. Doch durch die puren Fakten lässt auch der beste Buchhalter einen kleinen Hauch von persönlicher Wertung durchschimmern. Lässt an den positiven Stellen ein wenig mehr Schwung aufblitzen. Kaschiert jedoch in anderen Sätzen zu gering den bissigen Unterton.

So führt sein Zappen durch die unterschiedlichen Formate der deutschen Fernsehunterhaltung den Leser auf einen Rundgang durch das versteckt Politische in der scheinbaren Spaßgesellschaft. Wenige Vorurteile finden ihre Bestätigung, zurück bleibt Verwunderung und eine Feststellung: So spaßig ist sie gar nicht, die Spaßgesellschaft. Und ändern wird sich daran auch nach den Anschlägen am 11. September nichts. Falls die Bedenkenträger aber doch Recht behalten sollten und sich doch alles ändern wird und alles ändern muss, dann sollte der unruhige Zeitgeist im Schlepptau dieser Politiker und selbsternannten Denker vor Dörners Buch besser Halt machen. Denn dieses Buch ist gelungen - so wie es ist. Auch wenn sich die Zeiten geändert haben.

Titelbild

Andreas Dörner: Politainment. Aufklärung durch Unterhaltung.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
254 Seiten, 11,20 EUR.
ISBN-10: 3518122037

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