Girlpower

Jeanette Winterson e-mailt ein "Powerbook" an die Welt

Von Anette MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anette Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das Powerbook" also, ein Titel, der sich wie eines dieser Selbstverbesserungs-Ratgeber liest. Einer von denen, die alles versprechen und nichts halten. Seltsam nur, dass die Autorin Jeanette Winterson heißt und einem somit als eine bemerkenswerte britische Belletristik-Autorin bekannt ist. Warum das "Powerbook" Powerbook heißt, wird dem Leser dann schon bei der Lektüre des Inhaltsverzeichnisses klar: Jeanette Winterson hat sich ins Computer-Zeitalter eingeschrieben. Ihre Kapitel heißen "Datei öffnen", "Neues Dokument" und "Papierkorb ausleeren".

"Freiheit, nur für eine Nacht" wird der Ich-Erzählerin Ali per E-Mail angeboten, die jedem, der bereit ist, sich darauf einzulassen, eine neue Lebensgeschichte, eine neue Persönlichkeit, ein neues Online-Ich erfindet. Es ist der Beginn einer Liebe zwischen zwei Frauen, die sich in London, Paris und auf Capri treffen und nicht nur im Cyberspace.

"Um vor der Entdeckung geschützt zu sein, bleibe ich auf der Flucht. Um Dinge für mich zu entdecken, bleibe ich auf der Flucht", schreibt Ali zu Beginn. Und in der Tat bleibt sie 236 Seiten auf der Flucht - sie sucht Schutz in jahrhundertealten Legenden und Inkarnationen und erzählt ihrer Geliebten die Geschichte ihrer Liebe immer wieder neu, in E-Mails, in Online-Konversationen und von Angesicht zu Angesicht. Ali stilisiert sich zu den größten und tragischsten aller berühmten Liebenden: Lancelot, Francesca da Rimini, George Mallory. Während ihre Geliebte in Sachen Liebe eine desillusionierte Haltung an den Tag legt, verteidigt Ali das Konzept der Liebe mit Vehemenz, vertritt stets die Meinung, man habe für die Liebe bis aufs Blut zu kämpfen und keinerlei Kompromisse einzugehen. Ali lebt ihre Liebe mit größtmöglicher Gefahr verletzt zu werden, riskiert alles, offenbart sich der Geliebten bis ins Innerste ihrer Seele, akzeptiert keinerlei Kompromisse, stets von einem unbändigen Verlangen nach einer Partnerin erfüllt, die zögert und abwartet, wie ihre Ehe sich entwickelt.

So modern Winterson ihren Roman konzipiert haben mag, so altmodisch sind letztlich ihre Ansichten über die Liebe. Vielleicht erscheint ihr der Cyberspace deshalb so reizvoll: Zeit, Örtlichkeiten und Identitäten lösen sich in nichts auf, nur um neu erfunden zu werden. Insofern ist der virtuelle Raum der Liebe und der Literatur sehr ähnlich, erscheint ihr wohl deshalb als ideales Vehikel für ihre Botschaft.

Man kann "Das Powerbook" durchaus als mutiges Buch bezeichnen; Winterson macht es dem Leser mit den ineinander verwobenen Geschichten nicht leicht und offeriert keine stringente Erzählweise, wenn sie die realen und erfundenen Identitäten ihrer Protagonisten miteinander verknüpft, nur um sie im nächsten Kapitel wieder auseinanderzureißen und die Geschichte von neuem beginnen zu lassen. Trotzdem fasziniert Alis Versuch, ihre Geliebte erzählend für sich zu gewinnen. Wintersons Roman hat keinen Anfang und findet kein Ende, lässt verschiedene Deutungen in Bezug auf den Ausgang der Liebe zwischen beiden Frauen zu und ist schließlich ein großartiges Plädoyer für einen Eros ohne Sicherheitsabstand.

Schade ist nur, dass Wintersons deutscher Verlag bei der Wahl des Buchumschlags farbenblind und bei der Übersetzung des Titels unschlüssig gewesen sein muss: Der Umschlag vereint ein naives Tulpen-Stilleben mit einem in grell-bunte Kästchen gesetzten Titel. Schmerzhaft ist der deutsch-englische Zwitter der Titelformulierung. Dieser Roman hätte Besseres verdient.

Titelbild

Jeanette Winterson: Das Powerbook. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Monika Schmalz.
Berlin Verlag, Berlin 2001.
236 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3827000432

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