Träume von heißblütiger Männlichkeit

Assia Djebars erster Roman "Durst" in einer Neuübersetzung

Von Dirk FuhrigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dirk Fuhrig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Fatima-Zohra Imalayène 1957 in Paris ihren Debüt-Roman "La Soif" veröffentlichte, war sie gerade 21 Jahre alt. Während in ihrem Heimatland Algerien der Unabhängigkeitskrieg tobte, schrieb die junge Frau in Frankreich ein Buch über die Last mit der Liebe: eine Art postpubertäres Tagebuch einer jungen Algerierin, die sich zwischen gepflegter Langeweile am Strand und verschiedenen hübschen Männern nicht so recht entscheiden kann, bis sie sich am Ende schließlich doch in die tröstenden Arme eines lange abgewiesenen Bewerbers flüchtet.

Vordergründig ist "Durst" ein völlig unpolitisches Buch, das von den Zeiterscheinungen keine Notiz zu nehmen scheint und sich stattdessen in den Irrungen und Wirrungen der Seele verstrickt. Wer genauer hinschaut, merkt jedoch, dass dieser Roman eine ungeheure Sprengkraft besitzt. Die Art und Weise nämlich, wie die Autorin ihre Ich-Erzählerin über ihr Gefühlsleben berichten lässt, war zur Entstehungszeit des Texts revolutionär für eine Algerierin. Allein der häufige Gebrauch von Begriffen wie "wollüstig", das offene Sprechen über sexuelle Wünsche oder auch eine Feststellung wie "Ich war 20 Jahre alt, zynisch und verbittert", widersprachen dem traditionellen Rollenverständnis aufs Schärfste. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Autorin unter dem Kolonialregime aufgewachsen ist und ihre Schul- und Universitäts-Laufbahn unter dem Einfluss des französischen Bildungssystems absolviert hat. So etwas hatte eine Frau nicht zu denken, geschweige denn, es in der Öffentlichkeit zu äußern.

Nicht umsonst, vor allem aus Rücksicht auf ihre Familie einschließlich ihrer traditionell islamisch orientierten Brüder, wählte Fatima-Zohra Imalayène daher ein Pseudonym, um es auf den Umschlag ihrer ersten Veröffentlichung drucken zu lassen: Assia Djebar. Unter diesem Namen wurde sie berühmt. Bis heute hat sie ein gutes Dutzend Romane und Erzählungen veröffentlicht, darunter ihre berühmten "Frauen in Algier", unterbrochen von einer Schreibpause während der 70er Jahre, in denen sie sich dem Theater und vor allem dem Film zuwandte; ihre beiden historischen Filme wurden bei den Festspielen in Venedig beziehungsweise Berlin mit Preisen ausgezeichnet. Im vergangenen Herbst wurde ihr auf der Frankfurter Buchmesse der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. Ein Anlass, ihren ersten Roman "Durst" - der mit großer Verspätung erst 1993 auf Deutsch zugänglich gemacht wurde - in einer Neuübersetzung herauszubringen.

Die Hauptfigur und Ich-Erzählerin Nadia wird, ganz wie die Autorin, "wie man damals sagte, ,europäisch' erzogen" und führt das Dasein einer Tochter aus gutem Hause, die keine echte Aufgabe hat: "Ruhig, oberflächlich und leer war mein Leben". Immer wieder packt sie der Trübsinn, den sie mit rasenden Autofahrten zu bekämpfen sucht: "[...] mein Wagen - mein verschwiegener Komplize, dem ich meine Freiheit verdankte".

Die automobile Unabhängigkeit wird zum Symbol für den Ausbruch nicht nur aus räumlicher Begrenztheit, sondern auch aus den Ketten der gesellschaftlichen Konvention. Im Gegensatz zu ihr haben sich die beiden älteren Halb-Schwestern mit den Verhältnissen abgefunden. Die "realistische", matronenhafte Leila lebt "innerhalb fester, ihr Sicherheit verleihender Grenzen"; Myriem, "das Weibchen mit ihrem unstillbaren Hunger nach Sex", geht völlig in der Hausfrau-und-Mutter-Rolle auf. Nadia hingegen, Tochter eines algerischen Vaters und einer französischen Mutter, ist die Zerrissene, ein "armseliges Mischprodukt" zwischen zwei Zivilisationen, wie es ihr verschmähter Liebhaber Hassein polemisch formuliert.

Von zwar brennender, aber wenig zielgerichteter Leidenschaft getrieben, wirft sich Nadia auf den ironischen Hassein, um im nächsten Augenblick für Ali, den scheinbar kühl-souveränen Mann ihrer Freundin und Nachbarin Jedla zu entflammen. "Ich träumte von einer heißblütigen Männlichkeit, die beruhigt", wie es in der an manchen Stellen immer noch leicht ungelenk wirkenden Neuübersetzung steht.

Das Gewirr von unterdrücktem Begehren, Eifersucht, Minderwertigkeitsgefühlen und Intrigen löst sich auf in der Katastrophe: Jedla stirbt an den Folgen einer illegalen Abtreibung - aus Angst, eine weitere Fehlgeburt zu erleben, unfruchtbar und damit als Ehefrau wertlos zu werden. Nadia verzichtet auf ihr Studium in Frankreich und heiratet Hassein - aus Furcht vor der eigenen Unabhängigkeit, und begibt sich so am Ende mehr oder weniger freiwillig in die Fesseln der Ehe. Selbst wenn ihr Mann ebenfalls zur seinerzeit europäisch orientierten algerischen Elite zählt und das Gegenteil eines traditionalistischen Paschas darstellt.

Der kulturelle Bruch ist in "Durst" weniger als in den späteren Romanen Assia Djebars das eigentliche Thema. Die Stellung der Frau zwischen der algerischen und der französischen Zivilisation, dem arabischen und dem europäischen Denken wird scheinbar nur am Rande verhandelt, so als wolle die Autorin ihre Herkunft bewusst im Hintergrund lassen und das individuelle Menschenschicksal herausheben.

In ihrem teilweise grell brodelnden Debütroman deutet Assia Djebar bereits alle Themen und Stilelemente an, die ihre folgenden Werke prägen sollten. Mit der hochdifferenzierten Skizzierung der emotionalen Verwirrung Nadias zwischen Freiheitsdrang und erotischer Besessenheit ist ihr schon als junger Autorin ein psychologisch höchst eindringliches Stück Literatur gelungen. Auch die Sprache weist schon auf ihre spätere Schnitt-Technik, das szenische Erzählen. Ein Stil so kraftvoll, direkt und unverblümt, so klar und schneidend, wie ihn mit 21 nur ein großes Schriftstellertalent besitzen kann. "Durst" ist eine moderne éducation sentimentale, die auch heute nichts von ihrer Energie verloren hat. Ein Buch zum Wiederlesen.

Titelbild

Assia Djebar: Durst. Roman. Mit einem Nachwort von Clarisse Zimra.
Übersetzt aus dem Französischen von Rudolf Kimmig.
Unionsverlag, Zürich 2001.
156 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 329300279X

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