Betrachte kühl das Leben, kühl den Tod

William S. Burroughs, Vater aller Pop-Literatur, in seinen letzten Worten

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Letzte Worte sind nicht selten Sammelobjekte, Text-Bausteine für Anthologien, kondensierter Ratschluss großer Geister. Doch ihre Überlieferung ist häufig recht fragwürdig. Hieß es "Mehr Licht" oder "Mehr nicht", das letzte Wort unseres Olympiers?

Anders bei William S. Burroughs, dem Vater aller Pop-Literatur, der seine "Letzten Worte" penibel genau in Notizbüchern festhielt. Er war, fünf Jahre nach einer Bypass-Operation, zwar 'auf Methadon', sonst aber bei vergleichsweise guter gesundheitlicher und geistiger Verfassung. Er schrieb fleißig Tagebuch, und so umfassen seine "Last Words" in Pociaos Edition Sans Soleil immerhin neun Monate oder 300 Seiten. Und das Schöne ist: diese letzten Worte summieren sich recht eigentlich zu einer "Autobiographie in Bruchstücken". Dadurch nämlich, dass Burroughs alle wichtigen Lebensstationen, Begegnungen und selbstverständlich auch seine Werke - die wichtigsten zumindest - thematisiert hat.

Er gilt als der Vater der Pop-Literatur schlechthin, weil er das Cut-up-Verfahren und das Sampling für die moderne Poesie Amerikas erfand. Auch sein Tagebuch, geführt zwischen dem 14. November 1996 und dem 30. Juli 1997, lässt davon noch einiges spüren. Denn "Last Words" ist eine Kompilation aus Tagebuch, Erinnerungsfragment, Traumsequenz, Lektürebericht, politischem Kommentar, Verbalinjurie. Hier äußert sich ein alles in allem vernünftiger Kopf ("L. Ron Hubbard gehört der Bauch aufgeschlitzt") zu zentralen Fragen seiner Biographie. Burroughs beurteilt die Politik des American Narcotics Department (skeptisch), führt Gespräche mit Verstorbenen (wie dem engen, ja einzigen Freund Brion Gysin) und geißelt den Polizeistaat. Immer wieder kommt der Ex-Junkie, der 1980 einen Rückfall erlitt und seither in das staatliche Methadon-Programm aufgenommen war, auf die Drogenpolitik der Behörden zu sprechen. Burroughs nennt die Droge "Gottes Eigene Medizin" und spricht allen, die keine Erfahrung mit ihr haben, das Recht ab, über Drogenkranke zu urteilen.

Wachsam registriert er die Veränderungen, die um ihn herum geschehen: "Anderson, der altgediente County Sheriff, ein aussterbender Menschenschlag. Man stelle sich vor: In einunddreißig Dienstjahren hat er nie seine Waffe abgefeuert, es sei denn, um ein verletztes Tier zu töten." Und er weiß, dass er selber eine aussterbende Spezies ist. "Betrachte kühl das Leben, kühl den Tod", so könnte die Quintessenz der "Last Words" lauten. Es gibt sie übrigens auch als Hörspiel des Bayerischen Rundfunks, gesprochen von dem wunderbaren Gottfried John, und sie kann in Form einer CD bei Pociao/Sans Soleil 'promotion copy' bezogen werden.

Titelbild

Williams Burroughs: Last Words.
Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von James Grauerholz.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Pociao und Walter Hartmann.
POCIAO'S BOOKS, Bonn 2001.
326 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 3880300380

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