Werk und Wirkung

Kurt Bartschs "Horváth"-Monographie macht Lust auf mehr

Von Katrin Viktoria MühlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katrin Viktoria Mühl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 9. Dezember wäre Ödön von Horváth hundert Jahre alt geworden - aber obwohl er bereits als 37-jähriger verstarb, zählt er neben Bertolt Brecht zu den wichtigsten deutschen Dramatikern des zwanzigsten Jahrhunderts. Bekannt geworden ist Horváth vor allem durch seine Volksstücke wie die "Geschichten aus dem Wiener Wald".

Kurt Bartsch eröffnet seine wissenschaftliche Einleitung zu Ödön von Horváth mit einer kurzen, informativen Rezeptionsgeschichte und einem biographischen Abriss. Im Hauptteil des Buches bespricht er das gesamte Werk, gegliedert in "das frühe Werk bis 1925", "das literarische Werk 1926-1933" sowie "das literarische Werk 1933-1938". Dies bewältigt der Professor für Neuere deutsche Literatur in Graz auf nur 155 Seiten: "Ödön von Horváths Oeuvre ist schmal, umfasst rund zwanzig Dramen, drei alles andere als umfangreiche Romane und einiges an Kurzprosa." Allerdings, das Werk ist vielfältig, Horváth hat innerhalb von 17 Jahren auch Gedichte, Märchen und Hörspiele verfasst.

Das politische Zeitgeschehen hat unmittelbaren Einfluss auf die unterschiedlichen Schaffensperioden. In diesem Zusammenhang erhalten wir wichtige Hintergrundinformationen zu den Stücken: Beispielsweise unterteilt der Verfasser das Kapitel "das literarische Werk 1926-1933" mit Schlagworten wie "Demaskierung des Bewusstseins, "Der Bildungsjargon" und "Erneuerer des Volksstücks", wodurch die eigentlichen Absichten Horváths verdeutlicht werden. Bartsch gibt kurze Inhaltsangaben von Horváths Werken, beschreibt deren Aufbau und nennt Eckdaten von Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte. Anhand von Textbeispielen erläutert er Besonderheiten, beispielsweise die Entwicklung von Diktion und Themen (z. B. Analyse der Gesellschaft, humanistische Themen und Fragen der Moral).

Der deutsch schreibende ungarische Staatsbürger Horváth studiert 1920 bis 1922 in München. Dort unternimmt er die ersten ernstzunehmenden literarischen Versuche; er wird vom Komponisten Siegfried Kallenberg eingeladen, eine Ballettpantomime zu schreiben. In einem Anekdötchen heißt es, Horváth sei zunächst von einer Verwechslung überzeugt gewesen, da er "doch gar kein Schriftsteller" sei... Jedoch hat er Erfolg und arbeitet noch in den nächsten Jahren mit Kallenberg zusammen. 1923 beginnt Horváths intensives schriftstellerisches Schaffen, unter anderem entsteht sein erstes vollendetes Schauspiel, "Mord in der Mohrengasse". Seine Lebensstationen sind anschließend Berlin (als "dem kulturellen Zentrum der Zwischenkriegszeit"), Wien (Heirat 1933 - Scheidung 1934) und Murnau am Staffelsee (Familiensitz der Horváths).

Horváths Bücher werden 1933 verbrannt, er wird in Deutschland nicht mehr verlegt und gespielt, kann aber unter einem Pseudonym Filmprojekte verfolgen. Die letzte Reise des Künstlers ging 1938 nach Paris, um Robert Sidomak zu treffen, der den Roman "Jugend ohne Gott" verfilmen wollte. Auf den Champs-Elysées wird Ödön von Horváth bei einem Unwetter von einem hinabstürzenden Ast erschlagen.

Bartsch kommentiert, Horváth sei zwar "zu Lebenszeiten nicht gerade erfolglos" gewesen, dennoch wurde er weder viel gelesen noch viel gespielt. Es gab 1931 eine kurze Hochphase während und kurz nach der Verleihung des Kleist-Preises, aber eine breitere Rezeption begann erst in 1960er Jahren mit der Einrichtung eines Horváth-Archivs in Berlin. Dies verbindet ihn übrigens mit Marieluise Fleißer, die ebenfalls vor kurzem 100 Jahre alt geworden wäre und erst vor ca. 40 Jahren (wieder-)entdeckt wurde. Den Werken beider Künstler gemeinsam ist auch "der kritisch-analytische, entlarvende Blick auf die zeitgenössische Gesellschaft".

Horváths Stücke sind heute fester Bestandteil im Repertoire der deutschsprachigen Bühnen ("Geschichten aus dem Wiener Wald" wurde am Hamburger Thalia Theater zur "Aufführung des Jahres 1999" gewählt und im Fernsehen ausgestrahlt). Obwohl Horváth selbstverständlich etabliert ist, wird er "nicht mehr 'glattgelobt', sondern ist mittlerweile "Gegenstand durchaus kritischer Rezeption". Diese Darstellung zeichnet Bartsch (gegenüber anderen Monographen wie Traugott Krischke) besonders aus: Er thematisiert Horváths widersprüchliches Verhalten gegenüber den Nationalsozialisten als "offensichtlich bemüht, Konflikten mit den neuen Machthabern aus dem Weg zu gehen." 1934 stellt Horváth Antrag auf Aufnahme in den Reichsverband Deutscher Schriftsteller. Bartsch stellt heraus: "Horváths Verhalten erscheint heute politisch und moralisch fragwürdig. Über seine Beweggründe weiß man nichts Verlässliches."

Zusammenfassend hat dieses Buch trotz seines geringen Umfangs hohen Informationswert. Es ist ein konziser Durchgang durchs Werk, der sich ungeachtet seines wissenschaftlichen Anspruchs gut lesen lässt und Lust macht auf mehr.

Titelbild

Kurt Bartsch: Ödön von Horváth.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2000.
195 Seiten, 13,20 EUR.
ISBN-10: 3476103269

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch