Mehr als Kafkas Freundin

Margarete Buber-Neumann über Milena Jesenská

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Schatten großer - oder auch weniger großer - Männer zu stehen war und ist das unverdiente Schicksal zahlreicher Frauen. Gleichgültig, ob es sich um verwandtschaftliche Beziehungen, wie etwa bei dem aufklärerischen Schriftstellerehepaar Luise Adelgunde Victorie Kulmus und Johann Christoph Gottsched, handelt, oder um rein berufliche, wie bei den PhysikerInnen Lise Meitner und Otto Hahn. Auch die tschechische Journalistin Milena Jesenská teilte dieses Los. Selbst ihre von Margarete Buber-Neumann verfasste Biographie erschien unter dem Titel "Kafkas Freundin". Das war zwar bereits 1963 - nicht 1975, wie im Nachwort der nun publizierten Neuauflage angegeben -, doch hat sich noch bis in die 90er Jahre hinein offenbar keiner der Herausgeber daran gestört, dass Jesenská auch in ihrer Biographie noch zum bloßen Anhängsel eines Mannes degradiert wurde, der in ihrem Leben zugegebenermaßen über einige Jahre hinweg eine nicht unwichtige Rolle gespielt hat. Für die Wahl des Titels und seine jahrzehntelange Beibehaltung dürfte die Erwartung einer verkaufsfördernden Wirkung des prominenten Namens Kafkas ausschlaggebend gewesen sein, wohingegen Milena Jesenská selbst allenfalls als Adressatin von Kafkas Briefen einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hatte. Nun hat sich auch nach der Millenniumswende wohl kaum etwas daran geändert, dass kaufmännische Überlegungen bei der Titel-Wahl im Vordergrund stehen. Doch wird inzwischen offenbar mit der Sensibilisierung des Zielpublikums gerechnet. Folglich erschien das Buch nun erstmals unter dem Titel: "Sterben allein ist zu wenig".

Mag er nun auch zeitgemäßer sein, so atmet der Stil des Buches noch immer den unangenehmen Mief der 50er Jahre. Buber-Neumanns stilistische Schwächen stechen umso mehr ins Auge, als sie gegenüber den oftmals fünf, sechs Seiten langen Zitaten Kafkas und Jesenskás stark abfallen. Auch Klischees und Vorurteile des Buches stammen unverkennbar aus der Zeit von Nierentisch und Capri-Sonne, die den Nationalsozialismus noch nicht allzu weit hinter sich gelassen hatte. So berichtet Buber-Neumann etwa über einen KZ-Häftling, dass er "das klassische Gesicht des alten Kriminellen mit einem Ausdruck sturer Robustheit und List" besessen habe. Gelegentlich reproduziert sie auch geschlechterspezifische Klischees. Die jugendliche Milena, schreibt sie etwa, sei "vernascht" gewesen, "wie es nur junge Mädchen sein können", oder sie rekurriert aufs Biologische und erklärt, Milena Jesenská sei "von Natur aus wenig anfällig für politische Illusionen" gewesen. Auch die von Buber-Neumann geschätzten Tugenden sind merklich die der 50er Jahre. Es sei ein "Zeichen ihrer Größe", lobt sie ihre Protagonistin, dass es ihr gelang, ihre "Triebe zu zähmen und sich zu Disziplin durchzuringen". Oftmals übernimmt die Autorin sogar die Terminologie der Nazis, in deren KZ Ravensbrück sie Jesenská 1940 kennengelernt hatte, und spricht von "Zigeunern" und "Asozialen".

Ein aufmerksameres Lektorat hätte hier Abhilfe schaffen können. Mit dessen Hilfe wären wohl auch nicht nur unglückliche oder gar falsche Wortgebilde wie "Süchtigkeit" und "aufzuoktroyieren" getilgt worden, sondern es wäre zudem sicher zu vermeiden gewesen, dass die stalinistischen Säuberungen mit den ersten Moskauer Schauprozessen gleich zweimal auf 1956 statt 1936 datiert werden, oder dass Zuhälterei und Prostitution verwechselt werden.

Buber-Neumanns Biographie umfasst nicht nur die vier gemeinsam im KZ Ravensbrück verbrachten Jahre, sondern Milena Jesenskás gesamtes Leben, deren Kindheit durch einen mehr als patriarchalischen Vater bestimmt war, der nicht davor zurückschreckte, das rebellische Mädchen zur Strafe in eine Truhe voller schmutziger Wäsche zu stecken und die Jugendliche später in die Nervenheilanstalt zu sperren. Beides schildert Buber-Neumann ebenso ausführlich, wie - natürlich - die Beziehung zu Kafka, die Heirat mit Jaromir Krejcar 1927, der die "schönsten Jahre" in Jesenskás Lebens folgten, die Geburt ihrer Tochter, die Versteifung ihres Knies, nach der sie "ihr Selbstbewusstsein als Frau" verloren habe, und ihre erfolgreiche Tätigkeit als Journalistin sowie ihr kurzes Wirken im antifaschistischen Widerstand. Ihre wirkliche Größe zeigte Jesenská nicht, wie die Autorin meint, in ihrer Fähigkeit zur Disziplin, sondern nun, als sie nach Hitlers Okkupation der Tschechoslowakei unter Einsatz ihres Lebens jüdischen und aus anderen Gründen verfolgten Landsleuten zur Flucht verhalf. 'Nebenbei' war sie noch an mehreren illegalen Widerstandszeitschriften beteiligt. Allerdings wurde sie schon bald verhaftet und ins KZ verschleppt. Jesenská habe sich "bewusst geopfert", vermutet die Autorin, "nur eines ahnte sie nicht, dass das Ende so schnell kommen würde".

Mit der Beschreibung der gemeinsamen Zeit im KZ gewinnt die Biographie an Stärke, obgleich die Autorin über Jesenskás Haupt einen allzu gewaltigen Glorienschein leuchten lässt: Es bleibe "ein Geheimnis um die Größe dieser Frau", die bewirkt habe, dass sogar "die SS erstaunlicherweise vor Milenas Überlegenheit zurück[ge]wich[en]" sei.

Ein Buch also, an dem Vielerlei zu beanstanden ist. Doch trotz aller Kritik ist die erneute Publikation gerechtfertigt. Alena Wagnerová, Herausgeberin von Milena Jesenskás Briefen und Autorin der bislang letzten und kenntnisreichsten Biographie Jesenskás, weist Buber-Neumann zwar einige "Mängel und Ungenauigkeiten" nach, zählt sie aber gleichwohl zu den "wichtigsten Quellen" zu Jesenskás Leben. Das dürfte zutreffen und als Grund für eine Neuausgabe genügen.

Titelbild

Margarete Buber-Neumann: "Sterben allein ist zu wenig". Milena Jesenská. Biographie. Mit einem Nachwort von Gudrun Bouchard.
Ullstein Taschenbuchverlag, München 2001.
317 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 354860059X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch