In der Sache hat die Postmoderne gesiegt

Reden wir nicht mehr von den Etiketten, sondern von Inhalten

Von Wolfgang WelschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Welsch

Heute glaube ich bezüglich der Auseinandersetzung um Moderne und Postmoderne - und hinsichtlich des Erfolgs meiner eigenen Bemühungen - Folgendes als Ergebnis feststellen zu können: Der Terminus "Postmoderne" hat verloren, die Anliegen und Inhalte der Postmoderne aber haben gesiegt. Und beides geschah zu Recht.

Was den Terminus angeht, so habe ich schon in meinem Buch "Unsere postmoderne Moderne" von 1987 einen Abschnitt im Abschlußkapitel mit "Jenseits des Ausdrucks "Postmoderne"" überschrieben und darin dreierlei erklärt: erstens, daß der Terminus unglücklich ist, weil er (ob man das will oder nicht) suggeriert, daß die Moderne vorbei sei und nun etwas Anderes, eventuell geradezu Antimodernes, die Tagesordnung bestimme - dies jedoch war mit "Postmoderne" gerade nicht gemeint gewesen, es sollte nicht um eine blanke Verabschiedung, sondern um eine Transformation der Moderne gehen (wie mein Buchtitel dies auszudrücken suchte); zweitens, daß man mit dem Ausdruck nicht in antiquiert begriffsrealistischer, sondern in nominalistischer Art umgehen sollte, daß man also nicht andächtig auf eine immanente Bedeutung des Terminus lauschen, sondern ihn einfach als Instrument zur Indizierung bestimmter Inhalte betrachten solle, oder noch einmal anders gesagt: wie beim Ausdruck "Vatermörder" (der eine Kragenform bezeichnet) allenfalls naive Gemüter auf die Idee kommen, hier gehe es um Mord (und man müsse den Mörder vor Gericht bringen), so sollte man auch bei "Postmoderne" nicht meinen, daß hier jemand partout der guten Mutter Moderne an den Kragen wolle, um dann auf ihrem Grab den Frühlingstanz einer ganz neuen Welt aufzuführen; drittens, daß ganz einfach die Inhalte wichtiger seien als der Ausdruck, und daß diese Inhalte in der Tat Zentralbestimmungen der Gegenwart und absehbaren Zukunft auf den Begriff bringen.

Was den letzten Punkt angeht, so meine ich in der Tat, daß die Inhalte der Postmoderne sich als Beschreibungen unserer Gegenwart und nahen Zukunft durchgesetzt haben. Sogar die jüngere Vergangenheit - die Moderne - wird zunehmend im Licht dieser Inhalte gesehen und beschrieben. Die Vertreter der Moderne zeichnen von ihrer geliebten Moderne heute ein auffallend postmodernes Bild. Das ist vielleicht das deutlichste Zeichen, daß die postmodernen Ansätze der Sache nach gewonnen haben.

Lassen Sie mich dafür ein geradezu amüsantes Beispiel anführen. Als Robert Venturi, einer der frühesten postmodernen Architekten vor einem Vierteljahrhundert - 1966 - sein Buch über "Complexity and Contradiction in Architecture" publizierte und sich auch noch erdreistete, im Sinne dieser Leitbegriffe zu bauen, da erhob sich ringsum Protestgeschrei ob solch postmodernen Verrats an der Moderne. 1989 aber erschien eine Sammelbesprechung neuerer Monographien zur Architektur der Moderne, die den Tenor all dieser Monographien durch die Überschrift "Komplexität und Widerspruch" resümierte. Was einst als antimoderne Provokation und Verrat gegolten hatte, das haben die Buchhalter der Moderne inzwischen als Herzformel der Moderne selbst zu entdecken gewußt. Innerhalb weniger Jahre haben sie die Geschichte umgeschrieben. Natürlich geschah das mit Widerlegungsabsicht. Man wollte den postmodernen Provokateuren erklären, daß ihre Herausforderung gar keine sei, denn so klug wie sie seien die Altvorderen (und man selbst) immer schon gewesen. Offenbar ist dieses Verfahren aber auch ein Indiz dafür, wie sehr die Perspektiven und Inhalte der postmodernen Konzepte inzwischen zu Standardkategorien unseres intellektuellen und kulturellen Bewußtseins geworden sind.

In diesem Sinn meine ich, daß die Postmoderne gesiegt hat. Und das bedeutet auch: Diejenigen Postmodernen, die noch immer gegen die Moderne kämpfen zu müssen glauben, sind ähnlich verschlafen, wie es die Modernen vor einigen Jahrzehnten waren. Diese hatten damals die Transformation ihrer Moderne nicht mitbekommen; jene drohen heute zu Veteranen eines postmodernen Diskurses zu werden, der an die Windmühlengefechte Don Quijotes erinnert. Reden wir also künftig nicht mehr von den Etiketten, sondern von Inhalten - da gibt es immer noch Streit und Widerstreit genug, auch zwischen den sogenannt ´postmodernen` Positionen.