Die Geburt des Comics aus dem Geiste des Theatrum Mundi

Dietrich Grünewald über Grundlagen der Medienkommunikation

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Übernahme zumeist italienischer Druckerzeugnisse und das Fehlen einer eigenen Tradition mögen zu dem Umstand beigetragen haben, dass noch vor wenigen Jahrzehnten Eltern wie Lehrer gegen das Medium Comic auf die Straße gingen. Heute stellt sich die Situation unvergleichlich sublimer dar: ein Markt hat sich ausdifferenziert, der die Reduzierung auf einen einheitlichen Stil verunmöglicht. Grafische und dramaturgische Experimente haben die Bilderwelten bereichert, sind an die Seite der Massenzeichenware getreten. Eine qualitative Gewichtung - etwa in "wertvolle" Avantgardecomics und "minderwertige" Populärcomics - scheint unmöglich. Deshalb versucht Grünewald die ästhetische und historiographische Rekonstruktion eines "Prinzips Bildgeschichte".

Der ausgewiesene Comicexperte will die Geburt des Comics aus dem Geiste des Theatrum Mundi herleiten. Das Papiertheater dient ihm dabei als Indikator für die Herkunft der narrativen Tradition des Comics. Damit vertritt der Autor eine interessante Position, die sich als Gegenentwurf zu Andreas C. Knigges These, die Herkunft des Comics sei vom Bilderbuch oder dem Zeitungsstrip herzuleiten oder jüngst wieder Eckart Sackmanns Versuch, die Herkunft über Spruchbänder des Mittelalters zu erklären, behauptet. Indem er sich auf die Suche nach dem Ursprung der Symbiose von Bild und Text begibt, umgeht er die Gefahr, im Mittelalter Vorläufer des Comics zu konstruieren. Dafür vergegenwärtigt er die Bemühungen der Moderne, die, Massenmedien bewusst reflektierend, zu einem eigenen "Sprachduktus" findet, der die Anlage des Textes im Bild (und umgekehrt) akkreditiert. Damit fällt die Trennung in Text- und Bildraum auseinander und propagiert die von Walter Benjamin eingeforderte Aufhebung von Subjekt und Objekt in einen Leibraum - der Gleichzeitigkeit, möchte man unter Berücksichtigung comicspezifischer Relevanzen hinzufügen.

Seine Argumente sichert er durch breit angelegte Vergleiche aus der Bildgeschichte ab, allerdings greift seine Rückbezugnahme auf Scott McCloud ("Understanding Comics") dabei nicht immer. Seine Unterscheidung in "Kunst" und "Schund" bildet den Hintergrund, vor dem die Ästhetik der Comics verhandelt wird. Gerade die Theorieeinschübe jedoch, so löblich und interessant sie auch sind, zergliedern oftmals den klaren Aufbau des Buches. Ein weiteres Manko stellt die Zitationsform dar: weniger bekannte deutsche Beispiele werden erwähnt, oft sogar nur beschrieben, statt sie grafisch wiederzugeben, da die medienspezifische Zitierpraxis des Comics eben die grafische ist. Hinzu tritt die gelegentlich ärgerliche Falschschreibung von Namen und auch das streckenweise vernachlässigte Lektorat, die den Gegenstand im Grunde schon wieder zu diskreditieren drohen.

Trotzdem: die unangefochtene Stärke des Buches entfaltet sich gegen Ende, wenn der Autor über Comicforschung und -kritik schreibt. Er regt hier zum Weiterdenken an und fasst die Versäumnisse der deutschen Kritik und Forschung, die sich zu selten an ästhetischen Kategorien festmache und dafür soziologische Untersuchung v.a. unter dem Aspekt der Jugendgefährdung thematisiere, präzise ins Auge. Einen Ausweg aus diesem Dilemma deutet er mit seinem Büchlein an.

Titelbild

Dietrich Grünewald: Comics. Grundlagen der Medienkommunikation.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2000.
106 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 3484371080

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch